Der Deutsche Bundestag hat heute dem millardenschweren Finanzpaket zugestimmt, auf das sich Union und SPD mit den Grünen geeinigt hatten. Dazu eine Einschätzung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):
Die Grundgesetzänderung zu Sondervermögen und Schuldenbremse ist ein Paradigmenwechsel für Politik und Gesellschaft. Die Entscheidung des Bundestages korrigiert ein Stück weit die deutsche Obsession mit Schulden und Sparen. Sie ist ein Eingeständnis, dass Deutschland ohne deutlich mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Verteidigung seinen erheblichen wirtschaftlichen Wohlstand und seine Sicherheit nicht wird gewährleisten können.
Die Grundgesetzänderung ist eine pragmatische, aber bei weitem nicht ideale Lösung, um mehr Geld für Zukunftsinvestitionen bereitzustellen. Der richtige Weg ist eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, die nun dringend folgen sollte. Sondervermögen für Investitionen und die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben enthalten erhebliche Gefahren, die es nun zu kontrollieren gilt. Beiden mangelt es an Transparenz und Rechenschaft. Das Sondervermögen öffnet Tür und Tor für eine Zweckentfremdung der Gelder zur Erfüllung von Wahlgeschenken und konsumtiven Staatsausgaben. Es ist wichtig, Kontrollmechanismen durch einen unabhängigen Fiskalrat zu schaffen, damit die Gelder für die versprochenen Zwecke verwendet werden.
Mehr Geld für Investitionen ist notwendig, aber nicht hinreichend, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Die neue Bundesregierung muss sicherstellen, dass ausreichend Geld vor allem bei den Kommunen ankommt, die fast die Hälfte aller öffentlichen Investitionen tätigen, und dass diese wichtige Projekte umsetzen können. Dies erfordert grundlegende Reformen des Föderalismus, den Aufbau und die Bündelung staatlicher Kapazitäten zur Umsetzung von Infrastrukturprojekten. Es erfordert einen Abbau von Bürokratie und Regulierung sowie eine deutlich höhere Geschwindigkeit bei Genehmigungsverfahren. Zudem muss die Bundesregierung wichtige Strukturreformen voranbringen, insbesondere in Bezug auf die Sicherung von Fachkräften. Ohne solche Reformen werden nicht ausreichend öffentliche wie private Kapazitäten zur Umsetzung von Investitionen entstehen, und viele der Gelder werden entweder nicht genutzt oder lediglich in höheren Preisen resultieren. Die Grundgesetzänderung wird kurzfristig moderat höhere Schulden bedeuten, langfristig jedoch die Schuldenquote reduzieren – wenn die Gelder in ausreichendem Maße für produktive Investitionen verwendet werden. Der zusätzliche finanzielle Spielraum darf nicht zu einer Verschleppung dringend benötigter Reformen führen. Allen voran muss die neue Bundesregierung eine grundlegende Steuerreform und Sozialstaatsreformen auf den Weg bringen, um Gelder einzusparen, staatliche Aufgaben effizienter zu gestalten und vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zu entlasten.
Die Grundgesetzänderung ist eine riesige Chance, Deutschland zukunftsfähig zu machen und die seit mehr als einem Jahrzehnt verschleppte wirtschaftliche und soziale Transformation auf den Weg zu bringen. Die neue Bundesregierung braucht Mut, um mit alten Besitzständen zu brechen, Wahlversprechen zu kassieren und Reformen anzustoßen. Wenn der neuen Bundesregierung dies gelingt, dann werden vor allem die jungen und künftigen Generationen die großen Gewinner dieser Reformen sein.