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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 2 weeks 1 day ago

The Logic of Defence Assistance to Ukraine

Fri, 09/07/2021 - 02:00

The recent debate about providing military assistance to Ukraine has relevance for the efforts to overcome the current impasse in the Minsk Process and the Normandy Format in particular, and thus the search for a resolution to the conflict regarding the Donbas. But it also concerns larger questions of Germany’s role in Europe, and in security policy more generally. It touches on Germany’s ability to adapt to situations in which other countries are willing to envisage military solutions to existing con­flicts. In this sense, it fits into discussions about a more geopolitical EU. And it offers Berlin a way to reinforce its commitment to European security and stability by more actively resisting the redrawing of international borders.

Russlands Einflussmacht im Kaukasus

Thu, 08/07/2021 - 02:00

Im zweiten Karabach-Krieg vom Herbst 2020 vermittelte Russland einen Waffenstillstand und erweiterte seine militärische Präsenz im Südkaukasus, indem es eine Friedenstruppe im restlichen Berg-Karabach stationierte. In diesem Krieg hatten aserbaidschanische Streitkräfte die Südprovinz Karabachs und die zuvor von armenischen Truppen kontrollierten Territorien in dessen Umgebung eingenommen. Laut internationalen Beobachtern hat die Dominanz Russlands und der Türkei bewirkt, dass sich die geopolitischen Koordinaten im Kaukasus auf Kosten westlicher und globaler Akteure verlagerten. In Moskaus Perspektive besteht der Kaukasus aus Russlands Föderationssubjekten im Nordteil und seinem »nahen Ausland« im Südteil der Region. Für seine Politik im Südkaukasus nutzte der Kreml ungelöste Territorialkonflikte als machtpolitische Hebel. Mit seiner Unterstützung für die von Georgien abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien will Moskau das am stärksten nach Westen ausgerichtete »nahe Ausland« bestrafen. Im Karabach-Konflikt dagegen war Russland trotz enger sicherheitspolitischer Verbindung mit Armenien auf Neutralität bedacht und stellte sich nicht grundsätzlich gegen west­liche Konfliktmediatoren im Verhandlungsrahmen der OSZE. Russlands Ordnungsmacht im Südkaukasus wird durch die enge mili­tärische Allianz der Türkei mit Aserbaidschan eingeschränkt. Auch Iran tritt verstärkt als Akteur in der Region auf. Das geopolitische Gewicht dort verschiebt sich zu den historischen Regional- und Großmächten. Globale und westliche Akteure sind aber noch nicht aus der Region ver­bannt. Der Karabach-Konflikt bleibt im Brennpunkt internationaler Politik. Das wurde sechs Monate nach Kriegsende offenbar, als die Grenzkonflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan sich im Mai 2021 erneut zuspitzten.

Making Sense of the Contested Biden‑Putin Summit

Tue, 06/07/2021 - 02:00

The Biden-Putin summit in June 2021 has brought more questions than answers. It was a highly debated move – particularly in the United States – ever since the possi­bility of the event was announced in April. The outcomes of the high-profile bilateral meeting are still elusive. Despite these, the summit offered a few valuable insights on United States-Russia bilateral relations as well as on how the two countries seem to per­ceive each other. Among them, Russia views strategic stability to be of key im­portance for its ability to influence world affairs. The biggest concerns of the United States include cybersecurity and reducing Russia’s disruptive behaviour, which in­stru­mentalises instability in conflicts around the world. The revelations following the summit serve as useful signals but offer few reasons for optimism with regard to the United States and Russia engaging on a solid common agenda, and more likely for them to continue pursuing opposing interests.

Ein CO2-Grenzausgleich für den Green Deal der EU

Mon, 05/07/2021 - 02:00

Im Rahmen des Green Deal erwägt die EU die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) für Importe, damit sie ihre ehr­geizigen klimapolitischen Ziele erreichen kann, ohne dass energieinten­sive Sektoren ihre Emissionen ins Ausland verlagern (Carbon Leakage). Der CBAM sieht die virtuelle Anbindung der EU-Handelspartner an das Emissionshandelssystem der EU (EU ETS) vor – und wird von ihnen entsprechend kritisch beurteilt. Denn der CBAM wird ihre Produkte bei der Einfuhr durch Einpreisung der CO2-Kosten verteuern. Um wie viel, wird in dieser Studie für drei Sektoren – Zement, Stahl und Strom – exemplarisch durchgerechnet. Ein CBAM generiert Einnahmen. Der Umgang damit spielt für die WTO-konforme Ausgestaltung eine wichtige Rolle. Davon ist nur dann aus­zugehen, wenn die Einnahmen konsequent an den Zweck gebunden werden, klimapolitische Maßnahmen im In- und Ausland zu finanzieren. Ein CBAM wirkt als klimapolitischer Hebel. Je mehr Staaten mit der EU in der Klimapolitik zusammenarbeiten, desto geringer wird der Bedarf, das Instrument auch einzusetzen. Ist er erfolgreich, wird der CBAM über­flüssig. Damit die klimapolitische Maßnahme handelsrechtlich durchzusetzen ist, muss sie mit den WTO-Regeln in Einklang gebracht werden. Das schließt Sonderregeln für Entwicklungsländer ein. Zudem sollte das Gerechtigkeits­prinzip (CBDR&RC) des UN-Klimaregimes beachtet werden, das den Entwicklungs- und Schwellenländern geringere Beiträge zum Klimaschutz abverlangt als den Industrieländern. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen sich darauf einstellen, dass es zu einer Sanktionsdynamik kommen könnte, wenn sie es versäumen, mit ihren Handelspartnern intensive Gespräche zu führen, in denen sie ihr Vorgehen erklären und über Details der Anwendung sowie Aus­nahmen verhandeln. Das erfordert Fingerspitzengefühl, Klarheit und ein hohes Maß an Abstimmung mit den Partnerländern.

Die »Achse des Widerstands«

Fri, 02/07/2021 - 10:00

Die Islamische Republik Iran hat ihren Einfluss im Nahen Osten seit 2011 stark ausgeweitet. Doch hat diese Expansion ihren Höhepunkt schon 2018 erreicht. Seitdem tritt sie in eine neue Phase, in der Teheran zwar keine strategischen militärischen Rückschläge erlebt, aber an Grenzen stößt. Das größte grundsätzliche Problem Irans ist, dass seine Verbündeten im Libanon, Syrien, Irak und Jemen mehrheitlich und in erster Linie militä­rische und terroristische Akteure sind. Es gelingt ihnen zwar häufig, in bewaffneten Auseinandersetzungen Erfolge zu erzielen. Doch erweisen sie sich anschließend als unfähig, für politische und wirtschaftliche Stabi­lität zu sorgen. Die beste Option für die deutsche und die europäische Politik ist die einer Eindämmungsstrategie, deren langfristiges Ziel das Ende der iranischen Expansion in den vier genannten Ländern ist, die aber kurzfristig auf der Einsicht beruht, dass Teheran und seine alliierten Akteure in einer starken Position sind. Ein Bestandteil einer Eindämmungsstrategie wäre eine möglichst weit­gehende Isolierung und Sanktionierung der bewaffneten Kooperationspartner Irans. Hierzu gehört die Aufnahme der libanesischen Hisbollah, der Hisbollah-Bataillone, der Asa’ib Ahl al-Haqq und weiterer iranloyaler Milizen und ihres Führungspersonals auf alle relevanten Terrorismus­listen. Es sollte überlegt werden, ob iranische Institutionen und Akteure, die an der Expansionspolitik im Nahen Osten beteiligt sind, ebenfalls als terroris­tisch gelistet werden müssen. Die enge Bindung des Quds-Korps – das für Irans Politik gegenüber den arabischen Nachbarn federführend ist – an unzweifelhaft terroristische Organisationen wie die libanesische Hisbollah legt einen solchen Schritt nahe.

Die deutsche Politik im VN‑Peacekeeping

Fri, 02/07/2021 - 02:00

Die militärische Beteiligung an Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen gehört zwar rhetorisch zum Kernbestand deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich Deutschland jedoch auf eher symbolische Beiträge der Bundeswehr beschränkt. Erst mit der Beteiligung an der MINUSMA-Operation in Mali ist Deutschland substantiell in das Peacekeeping der VN zurückgekehrt. Einige seiner europäischen Verbündeten haben einen ähnlichen Schwenk vollzogen. Für die Mitgliedschaft Deutschlands im VN-Sicherheitsrat 2019–2020 war die MINUSMA-Beteiligung ein glaubwürdiger, aber auch politisch notwen­diger Ausweis der deutschen Verpflichtung für die VN und des multilatera­len Handelns insgesamt. Nach Ende dieser zwei Jahre wird sich die sicher­heitspolitische Aufmerksamkeit wieder anderen Feldern zuwenden. Obgleich die Stärkung der Vereinten Nationen Ziel deutscher Politik bleibt, sind die Motive dafür, sich konkret an Friedensoperationen zu be­tei­ligen (oder nicht), strategisch unterreflektiert. Sich daraus ergebende Ziel­konflikte und Dilemmata bleiben ungelöst. Unterschiedliche Priorisierungen, Erwartungen und Bewertungsmaßstäbe in Bundesregierung und Bundestag sind die Folge: Wer darauf setzt, mit der deutschen MINUSMA-Beteiligung die internationale Ordnung zu stär­ken, wird ihren Erfolg anders bewerten als derjenige, der auf konkrete Fortschritte im malischen Friedensprozess hofft, oder als jemand, der sie als Ausdruck deutsch-französischer Solidarität begreift. Ein Strategiepapier zu deutschen VN-Kontingenten ist unerlässlich. Es würde eine Brücke zwischen deutscher VN- und Sicherheitspolitik schlagen, den operativen Planungen Kontinuität und Partnern Planungssicher­heit geben. Es sollte auf den Strategischen Kompass der EU bzw. das neue stra­te­gische Konzept der Nato abgestimmt werden.

Repression and Autocracy as Russia Heads into State Duma Elections

Wed, 30/06/2021 - 02:00

Russia is experiencing a wave of state repression ahead of parliamentary elections on 19 September 2021. The crackdown is unusually harsh and broad, extending into pre­viously unaffected areas and increasingly penetrating the private sphere of Russian citizens. For years the Russian state had largely relied on the so-called “power verti­cal” and on controlling the information space through propaganda and marginalisation of independent media. The political leadership, so it would appear, no longer regards such measures as sufficient to secure its power and is increasingly resorting to repression. The upshot is a further hardening of autocracy. Even German NGOs are experiencing growing pressure from the Russian state. This trend cannot be expected to slow, still less reverse in the foreseeable future.

Rechtsstaatlichkeit und Handlungs­fähigkeit: Zwei Seiten einer EU-Medaille

Tue, 29/06/2021 - 10:00

Seit Jahren erodiert die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union (EU), vor allem in Polen und Ungarn. Dem Rat der EU hat es bisher an politischem Willen gemangelt, dieser Aus­zehrung Einhalt zu gebieten; überdies erschweren vertragliche Hürden eine Sank­tio­nie­rung der betroffenen Länder bis hin zur Aussetzung ihres Stimmrechts. Die Corona-Pandemie könnte das ändern. Als Reaktion auf den wirtschaft­lichen Ein­bruch wurde gleichzeitig mit dem mehrjährigen EU-Haushalt (2021–27) beschlossen, den Mitgliedstaaten zusätzlich beträchtliche Finanzmittel zu gewähren. Wie auch der Haushalt selbst sind diese Mittel konditioniert: Ländern, die die Rechtsstaatlichkeit missachten, können sie gesperrt oder gar gekürzt werden. Dieser Hebel sollte konse­quent genutzt werden. Dafür sprechen neben dem im EU-Vertrag (EUV) verankerten Selbstverständnis der EU als Werte- und Demokratieunion drei aktuelle Herausforderungen, vor denen die Union steht: EU-Gelder effektiv einzusetzen; ihre Handlungs­fähigkeit durch Mehrheits­entscheidungen zu stärken; sich im Wettbewerb mit auto­kratischen Regimen zu behaupten. Nur als Demokratieunion kann sie diese Herausforderungen meistern.

A Thaw in Relations between Egypt and Turkey

Tue, 29/06/2021 - 08:00

The visit of a high-ranking Turkish delegation to Cairo in early May 2021 indicates a turning-point in the relations between Turkey and Egypt. Since the 2013 military coup in Egypt, the leaders of these two Mediterranean countries had been extremely hos­tile towards each other. The current rapprochement, which might lead in a best case scenario to a resumption of diplomatic relations, thus comes as a surprise. But it is limited in scope. The main obstacles to a closer partnership between Recep Tayyip Erdoğan and Abdel Fatah al-Sisi are differences in the ideological foundations of their regimes. The aim of these current shifts in foreign policy is to increase the presidents’ room for manoeuvre. Their regimes are under pressure due to regional, international, and domestic developments. Germany and the EU should support the normalisation attempts because they can contribute to de-escalation in the region. Both regimes’ current weaknesses in foreign policy and the economy provide an opportunity to call for political change in other areas.

Russland im globalen Wasserstoff-Wettlauf

Tue, 29/06/2021 - 02:00

Im Oktober 2020 hat Russland eine Roadmap für die Wasserstoffentwicklung ver­ab­schiedet, ein umfassendes Konzept wird in Kürze erwartet. Auch wenn Russland dem vielgepriesenen Wasserstoff (H2) nach wie vor skeptisch gegenübersteht, will es seinen Erdgasreichtum nutzen, um ein führender Exporteur auch von H2 zu werden. Dabei sieht es Deutschland als wichtigen potentiellen Partner. Da Russland bisher keine am­bitionierte Dekarbonisierungsagenda hat, ist die große Herausforderung, die Wasser­stoffproduktion in erster Linie für den Export und ohne nennenswerte Binnennachfrage zu stimulieren. Obwohl sich Russlands politische Beziehungen zum Westen stetig verschlechtern, bleibt die Kooperation bei erneuerbaren Energien und bei H2 einer der wenigen vielversprechenden Bereiche. Diese Zusammenarbeit könnte signi­fikant zur Entwicklung der H2-Wertschöpfungsketten in beiden Län­dern beitragen.

Neuer UN GGE Report zu Cyber-Fragen: Vorwärts mit kleinen Schritten

Thu, 24/06/2021 - 14:24

Cyber-Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Desinformationskampagnen und Cyber-Kriminalität sind zentrale Herausforderungen für Staaten geworden. Der aktuelle Hackerangriff auf eine US-Pipeline macht das Problem deutlich: Nach Angaben des FBI verschlüsselten vermutlich russische Kriminelle die PCs des Betreibers und verlangten mehrere Millionen US-Dollar Lösegeld – das störte die Ölversorgung in den USA erheblich. Der Vorfall zeigt die Relevanz des Themas für die internationale Staatengemeinschaft. Ein vor Kurzem veröffentlichter Bericht von einer UN-Expertengruppe versucht unter anderem, diese Probleme mit diplomatischen Mitteln zu lösen.

Kurze Geschichte der Verregelung des Cyberspace

Der Cyberspace wurde lange als unregulierte Anarchie beschrieben. Die internationalen Bemühungen der Verregelung des Internets begannen 2004 mit der United Nations Group of Governmental Experts für Cyber Fragen (UN GGE). Seitdem erarbeitet die Gruppe wichtige Meilensteine: Man einigte sich, dass das Völkerrecht und die UN-Charta auch im Cyberspace gelte und entwickelte 13 unverbindliche Cyber-Normen für angemessenes Staatenverhalten. Dazu gehört etwa, dass Staaten keine kritischen Infrastrukturen angreifen sollen. 2017 scheiterte die vierte Runde des UN-GGE-Prozesses an der Frage, ob das Recht auf Selbstverteidigung nach einem Cyber-Angriff greife oder nicht. Westliche Staaten argumentierten dafür – Russland, China und andere dagegen. Letztere setzten sich in der Folge für die Schaffung einer parallelen Arbeitsgruppe ein, der Open Ended Working Group (OEWG). Fortan stand die Befürchtung im Raum, die OEWG könne die UN GGE inhaltlich torpedieren.

Konkretisierung von Cyber-Normen

Doch kürzlich legte die UN GGE einen neuen Konsensbericht vor – was zunächst als Erfolg zu verbuchen ist: die Kluft zwischen westlichen und anderen Staaten scheint zunächst überwunden. Der UN-GGE-Bericht konsolidiert die in der Vergangenheit bereits ausgehandelten Cyber-Normen und versucht, sie besser für die Praxis zu operationalisieren, etwa bei der Norm der Sorgfaltsverantwortung: Staaten sollen nicht wissentlich zulassen, dass von ihrem Territorium bösartige Cyber-Angriffe ausgehen. Gleichzeitig impliziert der Ursprung krimineller Aktivitäten von einem Territorium laut GGE keine automatische Mitverantwortung des entsprechenden Landes. Staaten müssen auch nicht sämtliche Internetdatenströme nach krimineller Aktivität überwachen, sondern sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten agieren. Wenn Dritte sie informieren, dass ihr Territorium missbraucht wird, sollten sie allerdings aktiv werden. Verfügen sie aber nicht über ausreichende Detektionsmöglichleiten, dürfen sie externe Hilfe von anderen Staaten anfragen. Des Weiteren soll es zwischenstaatliche Anlaufstellen für effektive Krisenkommunikation und einheitliche Vorlagen für Hilfeersuche geben. Ob Staaten dies aber in der Praxis in Anspruch nehmen, ist zweifelhaft, da einige von ihnen Cyber-Kriminalität als Deckmantel für eigene Angriffe nutzen und davon profitieren.

Der Report spezifiziert ferner die Norm, dass Staaten nicht absichtlich die Integrität von IT-Versorgungsketten untergraben sollen, beispielsweise durch Hintertüren oder versteckte Überwachungsfunktionen. Das ist ein sinnvoller Vorschlag, da solche Cyber-Angriffe das Vertrauen in das wirkungsvollste Mittel der IT-Sicherheit unterlaufen: Software-Updates, um Sicherheitslücken zu schließen. Auch an Deutschland ist das ein Signal: Das kürzlich beschlossene Bundespolizeigesetz sieht vor, Betreiber von IT-Versorgungsketten zu verpflichten, Überwachungstrojaner etwa per Software-Update auf Geräte von Bürgerinnen und Bürgern zu installieren. Zudem sollen Staaten verantwortungsvolle Meldeprozesse für IT-Sicherheitslücken etablieren (»Responsible Disclosure«) und eine sinnvolle Governance für Schwachstellen entwickeln. Auch hier ist Deutschland nach wie vor einen entsprechenden Prozess schuldig. Dies ist Teil eines größeren Problems: Die bisher ausgehandelten, nicht bindenden Cyber-Normen kollidieren auch in westlichen Demokratien zunehmend mit der Realität: Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Hintertüren in Software, Spionage und Überwachung sind mittlerweile de-facto-Normen geworden. Damit ist die Weiterentwicklung von Cyber-Normen zwar begrüßenswert. Solange diese aber nicht rechtlich bindend sind, bleiben sie ein stumpfes Schwert; hier sollte wenigstens ein Monitoring-Instrument entwickelt werden, das deren Einhaltung auf nationaler Ebene überprüft.

Weiterentwicklung des Völkerrechts

Bei der Weiterentwicklung des bindenden Völkerrechts macht der UN GGE Report nur kleinere Schritte. Erneuert wird das Bekenntnis, dass das Völkerrecht in Gänze im Cyberspace gilt. Darüber hinaus wurde versucht, das Kriegsvölkerrecht bei Cyber-Operationen innerhalb bewaffneter Konflikte genauer zu fassen. Cyber-Angriffe müssen danach den Prinzipien der Menschlichkeit, Notwendigkeit, Proportionalität und Unterscheidbarkeit bei Zielen genügen. Detailfragen bleiben aber bestehen, etwa ob, wann und welche zivilen IT-Infrastrukturen oder gar Daten legitime militärische Ziele sein dürfen.

Ungeklärt bleibt auch die Frage, ob Cyber-Operationen in fremden Netzen in Friedenszeiten eine Souveränitätsverletzung darstellen. Dies ist insbesondere relevant, da die USA mit ihrer »Persistent Engagement«-Cyber-Strategie auf solche Mittel setzen. UN-Mitgliedstaaten sollen laut GGE-Bericht dazu ihre Rechtsauffassungen veröffentlichen. Das wäre eine wichtige Vorbedingung, um in kommenden Verhandlungsrunden die offenen rechtlichen Fragen zu adressieren. Im nächsten Schritt sollte die UN GGE erneuert werden.  Dass UN-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, hierzu zunehmend ihre Interpretation des Rechts vorlegen, ist begrüßenswert.

Embracing Biden’s Democracy Agenda? Start with Turkey

Tue, 22/06/2021 - 14:11

European Union leaders are getting ready to discuss Turkey once again. The timing of the 24–25 June European Council is auspicious, after a week of G7, NATO and EU-US summits. Following four years of discontent between Brussels and Washington, this has been an exercise in reassurance, looking to reinvent multilateralism for the twenty-first century. The allies discussed rules for various policy areas, including economy, trade, climate, security and defence, while seeking a common stance against autocracies, particularly Russia and China. If Joe Biden and his European allies are serious about standing up to undemocratic regimes, the place to start is Turkey – which the European Council should do right away.

Turkey’s relations with its Western allies have been deteriorating for years. European decision-makers blame this on Ankara’s democratic backsliding and its unilateral foreign policy – which increasingly often runs counter to European interests. Developments in Syria, Libya, the Eastern Mediterranean and Nagorno-Karabakh, however, have shifted almost the entire focus to foreign policy. The EU’s desire to reduce tensions in its neighbourhood has eclipsed questions of democracy and rule of law. That is what is behind its proposal for a »positive agenda« with Turkey that is »progressive, proportionate and reversible«. It is thus conditional on Turkey’s external actions – good neighbourly relations in line with international law – but not clearly linked to the state of democracy. While the European Parliament flagged this in its recent report, a firm stance by the European Council is missing.

Commitment to democracy, everywhere

Turkey raised concerns in the EU when President Recep Tayyip Erdogan has withdrawn the country from the Council of Europe’s Istanbul Convention on preventing violence against women. This was clearly the continuation of a long-term trend limiting basic rights and freedoms. The new presidential system has eliminated most of the checks and balances. Civil society is under immense pressure. Democratically elected representatives have been removed and prosecuted. Last but not least the state prosecutor has applied to the constitutional court to ban the opposition Peoples’ Democratic Party (HDP). According to Freedom House, Turkey is »not free«, just like Russia and China.

This situation threatens the credibility of the transatlantic allies’ commitment to democracy, rule of law, and basic rights and freedoms. According to the summit communiqué, the G7 is committed to upholding a rules-based international system and defending values. That is also the promise of the NATO and transatlantic allies. Selective application would undermine that commitment. The rules apply to a rising China challenging Western economies – but not if you can get a bargain with Turkey in the Eastern Mediterranean. Those who prioritise geopolitics over principles might argue that Turkey gets less criticism as a NATO ally and strategically important accession candidate on the EU’s doorstep. Yet even if the European Union dropped the entire democratic conditionality framework, it would still risk being affected negatively by democratic backsliding and erosion of rule of law. Recent examples include unlawful detention of EU and US citizens and arbitrary decisions to move refugees to its borders with Greece back in 2020. Not to speak of the future risks to European investments.

European leaders may think that criticizing domestic repression in Turkey would put positive foreign policy developments at risk. There are no guarantees, however, that advances in the Eastern Mediterranean or relations with Greece, Cyprus or other member states will not be suddenly reversed, for example to rally nationalists behind the current government. The EU leaders must know that there can be no guarantees for the EU as long as instability prevails in Turkey – an instability exacerbated by deficits in democracy and rule of law. If the EU leaders choose to settle for a fragile status quo rather than promoting core values, they may still end up at odds with Turkey – while undermining the values they keep vowing to defend.

Serious about democracy? Time to speak-up

European leaders will try to buy time again, as they did at the European Council meetings in October and December 2020 and March 2021. But there is a window of opportunity. Ankara is on a charm offensive with its Western allies, needing an economic boost and trying to avoid European and US sanctions. While the government is determined to stay in charge, power struggles are emerging within the state apparatus. This is definitely the right time to set the tone – a tone that cares about democracy.

Action on Turkey is also needed to show the broader world that the G7, European Union and NATO mean what they said at last week’s summits. Democracy will be an important component of external action. If the EU cannot apply this principle to such a close neighbour, ally and EU accession candidate what does that say about the democracy agenda?

This text was also published at fairobserver.com.

Der Kampf um den Nordpol

Tue, 22/06/2021 - 02:00

Auf dem 12. Ministertreffen am 20. Mai 2021 in Reykjavik übernahm Russland den Vorsitz des Arktischen Rates, den bis dahin Island innehatte. Am Tag zuvor hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow eine erste Zusammenkunft mit US-Außen­minister Antony Blinken als konstruktiv bezeichnet. Allerdings hatte Lawrow den Westen im Vorfeld pauschal vor »Besitzansprüchen in der Arktis« gewarnt; für jeden sei »seit langem vollkommen klar, dass dies unser Territorium ist«. Aber was ist damit gemeint: der Nordpolarraum entsprechend dem neuen Antrag, den Russland im März 2021 an die Festlandsockelgrenzkommission gerichtet hat? Oder spielte Lawrow auf den andauernden Dissens um die Nördliche Seeroute an? Moskau will offenbar durch aggressive Rhetorik und gleichzeitige Dialogbereitschaft eine für sich vorteilhafte Lage in der Arktis schaffen.

Russland vor der Wahl zur Staatsduma

Mon, 21/06/2021 - 02:00

Die russische Gesellschaft erlebt vor der Wahl zur Staatsduma am 19. September 2021 eine drastische Ausweitung staatlicher Repression. Die staatlichen Maßnahmen sind dabei ihrerseits einschneidender und richten sich gegen mehr Menschen als bei frü­heren Repressionswellen. Sie greifen auf Bereiche über, die bislang wenig betroffen waren, und dringen zusehends in die Privatsphäre der Menschen ein. Jahrelang hatte sich der russische Staat im Wesentlichen darauf beschränkt, die politische Macht in der sogenannten Machtvertikale zu konzentrieren und den Informationsraum mittels Propaganda und Ausschaltung unabhängiger Medien zu kontrollieren. Diese Maßnahmen scheinen aus Sicht der politischen Führung nicht mehr auszureichen, um die eigene Herrschaft zu stabilisieren. Sie greift deshalb zunehmend zu Repressionen. Dies führt zu einer weiteren Verhärtung der russischen Autokratie. Auch deutsche Nichtregierungsakteure sind mittlerweile in größerem Maße von russischen staat­lichen Repressionen betroffen. Eine Verlangsamung oder gar Umkehrung dieses Trends ist auf abseh­bare Zeit nicht zu erwarten.

The Motion before Turkey’s Constitutional Court to Ban the Pro-Kurdish HDP

Thu, 17/06/2021 - 02:00

On 2 March 2021, the Turkish Prosecutor General’s office opened investigations into the Peoples’ Democratic Party (HDP). On 17 March it filed its application with the Constitutional Court to have the party banned. The Prosecutor General further sought to prohibit 687 HDP officials from engaging in political activities for five years. This would have amounted to excluding almost all HDP politicians from politics, and thus closing political channels for discussing and solving the Kurdish question for years. On 31 March the Constitutional Court rejected the application due to procedural flaws. However, on 6 June, the Prosecutor General’s office announced that it had filed a further motion to ban the party. This move to prohibit civilian and non-violent Kurdish politics risks augmenting the illegal Kurdistan Workers’ Party (PKK) and per­petuating the Kurdish conflict. It reveals the entanglement of politics and the judi­ciary in Turkey, and highlights structural deficits in the Turkish Constitution.

Ende der Eiszeit zwischen Ägypten und der Türkei

Thu, 17/06/2021 - 02:00

Der Besuch einer hochrangigen türkischen Delegation in Kairo Anfang Mai 2021 mar­kiert einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und Ägypten. Das Verhältnis der Führungen dieser beiden bevölkerungsreichsten Mittelmeeranrainer war seit dem Militärputsch in Ägypten 2013 extrem feindselig gewesen. Die jetzige Annäherung, die in der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen münden könnte, kommt insofern überraschend. Und ihr sind Grenzen gesetzt. Einer engeren Partnerschaft der Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und Abdel-Fatah al-Sisi stehen vor allem Unterschiede in den ideologischen Fundamenten ihrer Herrschaft entgegen. Der außenpolitische Kurswechsel soll den Handlungsspielraum beider Präsidenten ver­größern. Denn ihre Regime stehen aufgrund regionaler, internationaler, aber auch interner Entwicklungen unter Druck. Deutschland und die EU sollten die Annäherung unterstützen, weil sie zur Deeskalation in der Region beitragen kann. Die gegen­wärtige außenpolitische und wirtschaftliche Schwäche der Regime könnte auch eine Chance bieten, politisches Umdenken in anderen Bereichen einzufordern.

Nicaragua in der autoritären Sackgasse

Wed, 16/06/2021 - 15:06

In nur 14 Tagen hat das nicaraguanische Regime dreizehn führende Politiker und Politikerinnen des Landes ihrer Freiheitsrechte durch Gerichtsbeschlüsse beraubt, darunter mit Cristiana Chamorro, Arturo Cruz, Félix Maradiaga und Juan Sebastián Chamorro vier Präsidentschaftskandidaten sowie neun führende Mitglieder der Opposition; sie sitzen im Hausarrest oder im Gefängnis. Dies kann als Vorbereitung auf die für den 7. November 2021 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gewertet werden, bei denen Daniel Ortega erneut gemeinsam mit seiner Ehefrau Rosario Murillo zur Wiederwahl antreten wird. Von freien Wahlen kann keine Rede mehr sein: Ortega und sein Clan verfolgen nicht nur politische Kontrahenten, Vertreter aus Wirtschaft und Presse bzw. Journalisten, sie kontrollieren auch den Obersten Wahlrat, den Obersten Gerichtshof sowie die wichtigsten elektronischen Medien und verweigern jegliche Wahlbeobachtung.

Eine lange Geschichte des Protests und der Repression

Ortega, der seit 2007 wieder an der Macht ist, versucht mit allem Nachdruck, seine Herrschaft zu sichern. Seit den landesweiten Protesten des Jahres 2018, als im Frühjahr Tausende durch die Straβen der Hauptstadt und anderer Provinzstädte zogen, um gegen eine umstrittene Reform der Sozialversicherung zu demonstrieren, haben sich die Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und loyalen Gefolgsleuten Ortegas verschärft. Sicherheitskräfte und regierungsnahe Schlägertrupps prallten bei weiteren Konfrontationen mit Demonstranten aufeinander. Insgesamt kam es nach den Ermittlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zu 325 Todesfällen, mehr als 2000 Verletzte waren zu beklagen. Über 52.000 Nicaraguaner fanden Zuflucht im Nachbarland Costa Rica, das Ortega-Regime igelte sich ein. Die Menschenrechtskommission wurde des Landes verwiesen, seitdem wird die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen behindert oder verboten. Schließlich zerbrach die oppositionelle Bürgerallianz (Alianza Cívica), die sich mit Parteien, Unternehmerverbänden und sozialen Bewegungen in dem breiten Bündnis UNAB (Unidad Nacional Azul y Blanco) zusammengeschlossen hatte, an inneren Spannungen und verlor ihre Handlungsfähigkeit.

Grundlage für die Verfolgung von Oppositionskräften und Andersdenkenden ist das Gesetz 1055 »zur Verteidigung der Rechte des Volkes auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung für den Frieden« aus dem Jahr 2020. Es enthält ein breites Raster an Delikten unter dem Oberbegriff »Terrorismus« bzw. Finanzierungen aus dem Ausland und führt nunmehr, auch unter Berufung auf Begleitgesetze, zu zahlreichen Ausschlüssen von öffentlichen Ämtern, Anklagen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Hausarresten, die letztlich jegliche Opposition zum Schweigen bringen sollen.

Vorbild Venezuela

Mit diesem Vorgehen folgt Ortega dem »venezolanischen Handbuch« der autoritären Machterhaltung von Präsident Nicolás Maduro, koste es, was es wolle. Mit gegenseitiger Unterstützung, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich und in ideologischer Hinsicht, betreiben beide Regime die Demontage von Demokratie und Menschenrechten. Maduro stützt sich dabei auf den Nimbus des »Übervaters« Hugo Chávez, in Nicaragua verkörpert dies Daniel Ortega als ehemaliger Guerilla-Kämpfer und Revolutionär, der im Jahr 1979 den Sturz der Somoza-Diktatur herbeiführte, in Person. Der inzwischen 75-jährige Präsident, der nach einer Wahlniederlage im Jahr 1990 das Amt des Staatspräsidenten abgeben musste, klammert sich seit seiner Wiederwahl im Jahr 2006 an die Macht, die er bei verschiedenen Wahlen immer wieder verteidigen konnte. Dabei hilft ihm – wie im venezolanischen Fall – eine Mischung aus Klientelpolitik für die eigene Gefolgschaft in der sandinistischen Partei FSLN kombiniert mit Verboten oppositioneller Parteien, Änderungen des Wahlrechts und der Fragmentierung der Opposition; auch die Gleichschaltung der Gewalten und der Aufbau eines Sicherheits- und Überwachungsapparates zur Kontrolle der Gesellschaft gehören zu seinem Instrumentarium. Alle nationalen Verständigungs- und Dialogversuche sind ohne Ergebnis abgebrochen worden, selbst die Bischöfe des Landes bezeichnet Ortega inzwischen als »Putschisten«, so dass auch von ihnen nach dem gescheiterten nationalen Dialog 2018/2019 keine erneuten Vermittlungsanstrengungen erwartet werden können.

Nur USA und EU können den nötigen Druck aufbauen

Wie im venezolanischen Fall versuchte Ortega auch, die internationale Gemeinschaft mit dem fadenscheinigen Eingehen auf ihre Forderungen auszuspielen; die USA und die EU hatten vor allem mit individuellen Sanktionen gegen den Ortega-Clan reagiert. Aus der zentralamerikanischen Nachbarschaft hat der Präsident wenig Druck zu befürchten: El Salvador, Guatemala und Honduras sind alles Staaten, die selbst einen fragwürdigen Umgang mit Demokratie und Rechtsstaat praktizieren. Mexiko als großer Nachbarstaat hat sich aus der Region zurückgezogen und vertritt eine Politik der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Nur Costa Rica fordert immer wieder die Rückkehr zur Demokratie ein, kann aber bislang nur sehr beschränkt auf internationale Unterstützung rechnen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat diese Woche erneut zu einer Rückkehr zu demokratischen Regeln und transparenten Wahlen aufgerufen sowie die Freilassung der »politischen Gefangenen« gefordert. Maximal könnte die Mitgliedschaft Nicaraguas suspendiert werden, wofür 24 Stimmen –nicht zuletzt auch von den links orientierten Regierungen der Region – zusammenkommen müssen; ob das gelingen würde, ist unsicher. Doch auch damit wäre wenig verändert, allein USA und EU könnten mehr Druck aufbauen und einen Wandel im Land bewirken. Doch die USA sind gerade bemüht, den Migrationsdruck aus Zentralamerika auf ihre Grenzen zu reduzieren und möchten keinen zusätzlichen Anlass schaffen, der diese Anstrengungen konterkarieren könnte. Notwendig ist daher eine Initiative des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und der EU-Mitgliedstaaten auf höchster politischer Ebene, wie sie in den 1980er Jahren mit einer Diplomatie der Außenminister betrieben wurde, um die Bürgerkriege in der Region zu beenden. Heute muss es darum gehen, das Abgleiten Nicaraguas in offenen Autoritarismus und weiteren Schaden für die Region abzuwenden.

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