Auch mehr als eine Woche nach dem russischen Angriff auf die Ukraine scheut die Organisation südostasiatischer Staaten ASEAN klare Worte. In einer gemeinsamen Erklärung haben die ASEAN-Außenminister Russland als Aggressor nicht einmal benannt, geschweige denn verurteilt. Sie fordern lediglich Dialog, Respekt für staatliche Souveränität und einen Waffenstillstand. Diese Reaktion war zu erwarten – und enttäuscht trotzdem. Denn die ASEAN ist zentraler Anker der deutschen und europäischen Indo-Pazifik-Strategie. Sie ist essentiell für die angestrebte Diversifizierung politischer und wirtschaftlicher Partner jenseits von China und wichtig für den Ausbau multilateraler Kooperation zur Aufrechterhaltung einer regelbasierten regionalen Ordnung. Bei näherer Betrachtung ergibt sich aber ein differenzierteres Bild, das Anknüpfungspunkte für deutsche und europäische Politik bietet.
Eine schwache gemeinsame PositionDie ASEAN selbst betont stets die Bedeutung von friedlicher Konfliktbeilegung, territorialer Unversehrtheit, Souveränität und der regelbasierten internationalen Ordnung. Als dem Konsensprinzip verpflichtete intergouvernementale Organisation ist sie jedoch den häufig widersprüchlichen Interessen der Mitglieder unterworfen, was dann zu einer Position führt, die den kleinsten gemeinsamen Nenner repräsentiert.
So auch im Fall des Angriffs auf die Ukraine: In der Stellungnahme der ASEAN schlugen sich Faktoren nieder wie die historisch engen Beziehungen vor allem Vietnams zu Russland, die Rolle Russlands als Rüstungs- und Energielieferant für die Region oder die Hoffnung, durch engere Beziehungen zu Russland die zunehmende chinesische Dominanz in der Region ein Stück weit abzuschwächen, auch wenn Letzteres angesichts der engen Partnerschaft zwischen Moskau und Peking fragwürdig erscheint.
Die ASEAN dürfte sich gegenüber Russland auch weiterhin zurückhalten. Das Land ist im Gegensatz zur Ukraine etablierter ASEAN-Dialogpartner und Mitglied in multilateralen Formaten wie dem East Asia Summit (EAS), dem ASEAN Regionalforum (ARF) und auch der Wirtschaftsorganisation APEC. Außerdem hat Indonesien in diesem Jahr den Vorsitz der G20, an der Russland ebenfalls beteiligt ist.
Heterogenität der ASEAN-StaatenDie Bandbreite an Positionen innerhalb der ASEAN zeigt sich am Abstimmungsverhalten ihrer Mitglieder über die Ukraine-Resolution in der VN-Generalversammlung: Nur Vietnam und Laos enthielten sich der Stimme, alle anderen aber schlossen sich der Resolution an. Ein Sonderfall ist Myanmar, dessen Junta offen Russlands Angriffskrieg unterstützt, da Russland sie nach ihrem Putsch international anerkannte. Myanmars VN-Botschafter – ein erklärter Gegner des Militärputsches in seinem Land, aber nach wie vor bei den VN akkreditiert – stimmte ebenfalls für die Resolution. Staaten wie Indonesien und die Philippinen verurteilten (nach anfänglichem Zögern) Russlands Vorgehen ebenfalls. Singapur ist noch weiter gegangen und hat als bislang einziges ASEAN-Mitglied unilateral Sanktionen gegen Russland verhängt.
Implikationen für Deutschland und die EUWie können Berlin und Brüssel mit dieser Gemengelage umgehen? Zunächst sollten sie ASEAN trotz oder gerade wegen ihrer Zurückhaltung und Neutralität nicht aufgegeben. Schließlich führt das Konsensprinzip in außen- und sicherheitspolitischen Fragen auch in der EU oft genug zu schwachen Statements. Sie sollten sowohl die Kanäle zu ASEAN als auch zu einzelnen Mitgliedstaaten für eine Auseinandersetzung über die möglichen Auswirkungen der russischen Intervention auf die internationale Ordnung nutzen.
Wie das Beispiel Singapurs zeigt, erweist sich in Südostasien und im Indo-Pazifik allgemein das von den USA vorgetragene Narrativ, dass sich die Welt im ultimativen Kampf zwischen Demokratien und Autokratien befinde, angesichts der politischen Wirklichkeit in der Region nicht als zielführend. Schlimmstenfalls kann es schädlich sein, wenn damit potentielle Gleichgesinnte, weil von ähnlichen Interessen geleitete Partner, durch ein solches Schwarz-Weiß-Schema ausgeschlossen werden: Auch Staaten, die nicht als Demokratien in der »transatlantischen« Definition gelten, können ein Interesse an einer regelbasierten Ordnung haben, in der eben nicht das Recht des Stärkeren gilt. Überdies haben Störungen der Weltwirtschaft auch Auswirkungen auf Südostasien – zum Beispiel in Bereichen wie Energiesicherheit durch steigende Ölpreise oder der Ernährungssicherheit durch verringerte Getreideausfuhren aus der Ukraine.
Das Abstimmungsverhalten der ASEAN-Staaten in den VN zeigt, dass es eine Basis geteilter Interessen gibt, wenn auch nicht in jedem Fall gemeinsamer Werte. Schließlich handelt es sich überwiegend um kleine und mittlere Staaten, die selbst in unterschiedlichem Maße wachsendem Druck, Drohungen und Einschüchterungsversuchen seitens einer Großmacht, nämlich China, ausgesetzt sind, sich gleichzeitig aber in einer vor allem wirtschaftlichen Abhängigkeit sehen. Da selbst in Staaten wie Vietnam die Notlage in der Ukraine mittlerweile thematisiert wird, kann zumindest auf humanitärer Ebene eine Zusammenarbeit angestrebt werden. Das wäre wichtig, um zum einen die zentrale Rolle aller ASEAN-Staaten für die Indo-Pazifik-Politik Europas zu unterstreichen. Zum anderen hätte es auch symbolische Bedeutung, da es die enge Bindung an Russland in der Ukraine-Krise partiell aufweicht. Mit anderen Staaten, wie beispielsweise Singapur oder auch dem G20-Gastgeber Indonesien, könnte die Kooperation auf diplomatischer Ebene intensiviert werden. Auch über ein EU-ASEAN-Sondertreffen auf Ministerebene zu den politischen, wirtschaftlichen und humanitären Folgen des Kriegs in der Ukraine sollte nachgedacht werden. Deutschland und die EU sollten die Invasion Russlands in der eigenen Nachbarschaft nicht zum Anlass nehmen, ihre Aufmerksamkeit wieder vom Indo-Pazifik abzuwenden, sondern dies als Möglichkeit für verstärkten Austausch und Kooperation mit den Staaten der Region einschließlich der ASEAN-Mitglieder sehen. Dabei müssen sie die bestehenden Unterschiede in der Region berücksichtigen, was ein flexibles statt uniformes Vorgehen erfordert.
Given the strong economic interdependencies between the United States (US) and Europe as well as the shared commitment to safeguard civil liberties online and combat disinformation and unfair market practices, European Union (EU) cooperation with the US on digital markets is crucial. Thus, the EU-initiated transatlantic Trade and Technology Council (TTC) was established to navigate European and American understandings of “digital sovereignty” and the resulting market regulations. The first TTC meeting took place in September 2021 and demonstrated both a shared commitment to building an alliance on “democratic technology” and diverging ideas on how to best regulate the digital market and its biggest players. As the COVID-19 pandemic has revealed vulnerabilities of international supply chains and accelerated digitalisation, European policymakers are well-advised to continue pursuing their digital foreign policy strategy of advancing digital sovereignty by leveraging the “Brussels effect”, which also fosters the further integration of EU digital policy and contributes to the deepening of the transatlantic digital market.
India is a central partner for German and European foreign policy in the Indo-Pacific. The German Federal Government’s autumn 2020 guidelines and the November 2021 coalition agreement both emphasise the importance of expanding relations with India. To advance the common cause of a multilateral and rules-based order in the Indo-Pacific, both sides should – in addition to deepening their bilateral relations – extend their cooperation to third countries. Such triangular cooperation could herald a new phase of the Indo-German strategic partnership.
Nach fast siebenmonatiger Fahrt im Indischen und Pazifischen Ozean ist die Fregatte »Bayern« nach Wilhelmshaven zurückgekehrt. Mit der Entsendung des Schiffes wollte Deutschland vor allem ein sichtbares politisches Zeichen für seine Bereitschaft setzen, sich aktiver für Stabilität und Sicherheit im indopazifischen Raum zu engagieren. Im Rückblick hat die Mission dazu beigetragen, die Beziehungen mit Partnern der Region durch militärpolitische und diplomatische Gespräche sowie gemeinsame Übungen von Streitkräften zu beleben und zu vertiefen. Nun gilt es, den entstandenen Schwung in den Beziehungen aufrechtzuerhalten, etwa indem Konsultationen fortgesetzt werden. Dem Anspruch, mit der Fregattenfahrt zum Erhalt der regelbasierten Ordnung und des internationalen Rechts beizutragen, ist Deutschland jedoch nicht oder allenfalls in geringem Maße gerecht geworden. Zu klären ist, welche Folgerungen die Bundesrepublik für ihr künftiges Indo-Pazifik-Engagement zieht.
Der Putsch vom 25. Oktober 2021 setzte dem demokratischen Übergangsprozessin Sudan ein jähes Ende. Militär- und Sicherheitskräften gelingt es seitdem jedoch nicht, ihre Herrschaft zu festigen. Eine Rückkehr zu einer dauerhaften und stabilen Militärregierung in Sudan ist unwahrscheinlich. Zu groß sind die internen Gegensätze der Putschistengruppierungen und die wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes. Die Demokratiebewegung ist gut organisiert und dank ihrer dezentralen Struktur in der Lage, Verhaftungen und Gewalt zu trotzen. Ein neuer demokratischer Übergangsprozess wird nicht allein durch Wahlen herbeizuführen sein, welche die Putschisten für Sommer 2023 planen. Jedwede internationale Vermittlung in Sudan hat nur dann eine Chance, wenn sie eng auf die zivilgesellschaftlichen Pläne für eine Neuausrichtung des Staates abgestimmt ist.
Only a few days before Russia’s attack on Ukraine, the chief commentator of the Turkish daily Sabah, Mehmet Barlas, summed up his assessment of the situation with the sentence, “If we had to reckon with a war, President Erdoğan would not have left today for a four-day trip to Africa.” He added that the Turkish president is in constant contact with Russia’s President Putin. “All experts,” the avowed Erdoğan supporter continued, agreed that Washington was escalating the crisis to solidify its dominance in Western Europe. With that, Barlas also echoed the general mood in the country. It is fortunate, he said, that Russia’s president is so much more reasonable and wiser than his American counterpart.
The bond between Erdoğan and PutinSuch a positive image of Vladimir Putin and Recep Tayyip Erdoğan’s familiarity with the Kremlin leader is no accident: Particularly since the failed coup attempt of 2016, with Putin’s help, Erdoğan has been able to position himself independently of – and sometimes even against – the United States and Europe on key foreign policy issues. In Syria and Azerbaijan, Ankara and Moscow succeeded in marginalizing Western actors. In Libya and the eastern Mediterranean, Turkey acts as a competitor or even adversary to EU member states. Ankara’s flirtation with Moscow and concerns that Turkey might turn away from Europe altogether had contributed significantly to Brussels’ kid-glove approach to Ankara in the eastern Mediterranean and Cyprus and Washington’s belated reaction to the acquisition of Russia’s S-400 missile defense system with sanctions. It is true, Ankara had experienced Putin as a cool strategist and ruthless power politician in the conflicts with Moscow. But Erdoğan always seemed to succeed in avoiding escalation.
Despite all of Ankara’s conflicts with Moscow, Erdoğan’s rapprochement with Russia has brought him much closer to his goal of strategic autonomy for his country from the West. Turkey skillfully maneuvered between the fronts of global rivalry and was thus able to considerably expand its scope and influence in just a few years. In this seesaw policy, however, Turkey is behaving much more confrontationally toward Western states than toward Russia. For years, the government press has painted a positive picture of Russia and a negative one of the United States and Europe. This is not without effect on public opinion: About a month before Russia attacked Ukraine, in a poll carried out by a renowned opinion research institute, a narrow relative majority of 39 percent of respondents favored foreign policy cooperation with Russia and China over cooperation with Europe and the United States.
In the first days after the attack, Ankara’s policy followed exactly the aforementioned pattern. Turkey did condemn the attack. However, it is not participating in sanctions against Russia. In the vote on suspending Russia’s representation rights in the Council of Europe, Turkey was the only European NATO state to abstain and, as such, is keeping its airspace open to Russian aircraft.
The West is paying particular attention to whether and how Turkey implements the Treaty of Montreux. The 1936 treaty regulates the passage of warships through Turkey’s Dardanelles and Bosporus straits into the Black Sea. It limits the number, tonnage, and duration of stay of ships from non-littoral states in the Black Sea. In the event of war, the convention stipulates that the waterways must be closed to ships of the parties to the conflict, and it entrusts Ankara with the application of the treaty’s regulations
Ankara swings aroundIt took Turkey four days to classify the Russian invasion as “war.” However, Ankara is still reluctant to officially close the waterways – as the treaty stipulates – to ships of parties to the conflict, Russia and Ukraine. Instead, Ankara is warning “all countries, Black Sea riparian or not,” against sending warships through the straits. In the literal sense, this step is not directed unilaterally against Moscow, but it also makes it more difficult for NATO ships to sail into the Black Sea. According to the treaty, however, the waterways may only be closed to warships of all countries if Ankara considers itself directly threatened by war. Consciously creating ambiguity, Turkey has triangulated between the West and Russia
Almost imperceptibly at first, however, a reversal has set in, and there are reasons for this. First, the West is showing unity and resolve unseen since the Cold War, and its sanctions are undermining Russia’s standing in the world. Second, Putin is losing his charisma as a successful statesman and reliable partner. Third, Ankara realizes that Putin’s vision of a great Russian empire could provoke more wars. And fourth, the ranks of the adversaries are closing: It is becoming more difficult for Turkey to continue its dearly held seesaw policy.
Thus, strongly pro-Western tones have been coming out of Ankara in recent days. Turkey will continue to support Ukraine in consultation with the West, according to the president’s spokesman. Foreign Minister Mevlüt Çavusoglu now claims to have contradicted Russia’s wishes for the passage of warships through the Bosporus “in all friendship” days ago. And President Erdoğan is in favor of admitting Ukraine to the EU and Kosovo to NATO. Moreover, Ankara is not contradicting reports by Ukrainian diplomats that Turkey is supplying more armed drones and training drone pilots. On the 2nd of March, Turkey joined the vast majority of states in the UN General Assembly’s condemnation of the Russian invasion of Ukraine that asks Russia to “immediately, completely and unconditionally withdraw all of its military forces”. Two days later, during the extraordinary meeting of NATO’s foreign ministers, Ankara supported the deployment of NATO’s Response Force to NATO countries neighboring Ukraine.
It looks like Putin is not only bringing long-lost unity to the EU but also reminding Ankara of the benefits of its Western ties. Western states should realize that only more unity among themselves and more determination will make Ankara re-engage with the West.
Indiens Enthaltungen bei den Abstimmungen der Vereinten Nationen (VN) gegen die russische Invasion in der Ukraine haben in vielen westlichen Hauptstädten und Medien Unverständnis ausgelöst. Der Konflikt stürzt Indien in ein kaum auflösbares Dilemma. Zum einen kann es sich nicht leisten, Partei im Konflikt zu ergreifen, ohne selbst massive außenpolitische Probleme zu riskieren, da es in der Auseinandersetzung mit China sowohl gute Beziehungen zu den USA als auch zu Russland benötigt. Zum anderen ist Indiens Enthaltung bei den VN zwar durchaus konsequent, vor allem mit Blick auf seine außenpolitische Maxime der strategischen Autonomie und sein Verhältnis zu Russland, doch könnte diese Position im Westen eine Diskussion über die Grenzen der künftigen Zusammenarbeit mit Indien auslösen. Das Land mag weit vom Kriegsschauplatz entfernt sein, doch die geopolitischen Folgen des Konflikts könnten es auch zu einem Verlierer des Ukraine-Kriegs machen.
Indiens BalancepolitikRussland ist für Indien der zentrale internationale Partner. Erstens sind Schätzungen zufolge die indischen Streitkräfte zu 60 bis 70 Prozent von russischen Rüstungsgütern abhängig. Trotz der umfangreichen militärischen Zusammenarbeit mit den USA und Israel in den vergangenen Jahren wäre Indien ohne russische Waffentechnologie nicht in der Lage, auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen durch China und Pakistan zu reagieren. Zweitens haben Indien und Russland eine enge energiepolitische Zusammenarbeit. Russland gilt als einer der größten Investoren im indischen Energiebereich. Zugleich befinden sich die größten indischen Auslandsinvestitionen im Öl- und Gassektor in Russland. Drittens gilt Russland für Indien als wichtigster Verbündeter im Sicherheitsrat der VN. Allerdings hat sich Russland in den vergangenen Jahren zunehmend weniger als zuverlässiger Partner gezeigt. So hat es Indien nicht in die Verhandlungen zu Afghanistan einbezogen, seine militärische Zusammenarbeit mit Pakistan verstärkt und auch nicht gegen China interveniert, als es 2019 Kaschmir zu einem Thema im Sicherheitsrat der VN machte.
Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu den USA haben seit dem Ende des Ost-West-Konflikts einen massiven Ausbau erfahren. Die gut ausgebildete und wohlhabende indische Diaspora in den USA hat die Beziehungen zu Indien fest in der amerikanischen Außenpolitik verankert. Die größte und die älteste Demokratie haben gemeinsame geopolitische Interessen, und arbeiten zum Beispiel mit Japan und Australien im Quadrilateralen Sicherheitsdialog (Quad) zusammen, um dem Aufstieg Chinas im Indo-Pazifik zu begegnen. Die USA sind mittlerweile der wichtigste Partner für die Modernisierung der indischen Streitkräfte.
Indiens DilemmaDie westlichen Sanktionen werden Russland wirtschaftlich schwächen und vermutlich zu einer engeren Anbindung an China führen. Indische Experten fürchten bereits, dass sich dies mittelfristig negativ auf russische Rüstungsexporte auswirken könnte, die Indien wiederum in der militärischen Konfrontation gegen China entlang der umstrittenen Grenze benötigt.
Ungemach droht Indien auch von westlicher Seite. Aufgrund der deutlich verbesserten Beziehungen ist es dem Land in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, Ausnahmen von amerikanischen Sanktionen zu erwirken. So konnte Indien ohne Konsequenzen das russische Raketenabwehrsystem S-400 erwerben. Sollte Indien durch amerikanische Sanktionsregime künftig von russischer Energie- oder Militärtechnologie abgeschnitten werden, wäre dies eine massive Einschränkung indischer Sicherheitsinteressen. Sofern die politische Konfrontation zwischen den USA und Russland voranschreitet, könnte auch eine Diskussion über die künftige Rolle Indiens in dieser Auseinandersetzung entstehen. Bislang gilt es als Pfeiler der amerikanischen Indo-Pazifik Strategie mit Blick auf China.
Die Ukrainekrise zeigt auch den außenpolitischen Ambitionen Indiens, zum Beispiel eine Führungsmacht zu sein, klare Grenzen auf. Angesichts der eigenen Interessen und der fehlenden Möglichkeiten, Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen, ist wohl am ehesten damit zu rechnen, dass die indische Regierung an einer Politik des »weiter so« beziehungsweise des »Durchwurschtelns« festhält. Die möglichen Reputationsverluste der größten Demokratie – die Verletzung der territorialen Integrität eines Landes durch einen Angriffskrieg seinen engsten Verbündeten de facto in Kauf zu nehmen, in dem auch indische Staatsbürger getötet wurden – sind dabei vermutlich noch das kleinste Problem für Neu-Delhi.
Die Anstrengungen Indiens dürften sich vor allem darauf richten, dass in westlichen Hauptstädten keine Diskussion über die Grenzen der künftigen Zusammenarbeit mit Indien entsteht, sollte die Regierung in Neu-Delhi an ihrer Haltung im Ukrainekonflikt festhalten. Das Festhalten an der bisherigen Balancepolitik könnte unter den veränderten geopolitischen Konstellationen für Indien zu einem unauflöslichen Dilemma werden und Indien zu einem Verlierer des Kriegs in der Ukraine machen.
Russlands Krieg in der Ukraine macht neue Rüstungskontrollverträge mit Moskau vorerst unwahrscheinlich. Mittelfristig wird das Interesse an Abkommen zur Einhegung des russischen Atomwaffenarsenals indes wieder steigen. Anders als in den 1980er Jahren würden entsprechende Verhandlungen über neue nukleare Vertragswerke aber misslingen, wenn China, das zum zentralen globalen Herausforderer der USA geworden ist und verstärkt nuklear aufrüstet, außen vor bliebe. Daraus folgt: Es wird keine nennenswerte Stärkung der europäischen nuklearen Sicherheit geben, solange Chinas atomare Aufrüstung ungebremst voranschreitet.
On 19 December 2021, Gabriel Boric won the run-off of the Chilean presidential election with 55.9 percent of votes, 11.8 percentage points ahead of José Antonio Kast. That day voter participation in Chile reached a historic high (55.6 percent) since the abolition of mandatory voting. This great mobilisation helped Boric – who had finished second in the first round – to victory. The newly elected president therefore has a solid democratic foundation, but Chileans have also invested great hopes in him. Furthermore, the new head of government will have to contend with the tensions between two institutions: a Constitutional Convention and a Congress that is divided along party lines. His four-year mandate, starting on 11 March, could be both the last under the “Pinochet Constitution” and the start of a democratic transformation.
Der Krieg gegen die Ukraine wirkt unmittelbar auf die Agrarmärkte: Er erschwert die Auslieferungen aus den Beständen ebenso wie die dort anstehende Aussaat vieler Getreidearten. Durch die Besetzung und Zerstörung von Schlüsselhäfen wird der Export weiter einbrechen. Aus Russland sind Agrarexporte auf dem Haupttransportweg über einige Häfen am Schwarzen Meer derzeit noch möglich. Allerdings berichten Reedereien, diese wegen der allgemeinen Gefährdungslage und der Sorge vor Geschäftsausfall einzuschränken.
Die Ukraine und Russland haben sich in der Post-Sowjetzeit zu dominanten Exportakteuren sowohl für Getreide als auch Sonnenblumen(öl) entwickelt. Ihre Ernteerträge beeinflussen daher schon länger internationale Mengen und Preise. Die Ukraine stellte zehn Prozent des weltweiten Weizenexportangebots, Russland sogar 24 Prozent. Bei Mais lieferte die Ukraine 15 Prozent der wichtigen Futtergrundlage. Der internationale Düngemittelmarkt ist noch stärker konzentriert: Mit Handelsanteilen einzelner Düngerkomponenten von fast 50 Prozent dominiert Russland etwa bei Ammoniumnitrat und Belarus mit 16 Prozent bei Kalidünger.
Mittelbar wirken die Finanzsanktionen zahlreicher Staaten und der EU gegen Russland auf Agrarexporte durch eine generelle Geschäftsunsicherheit, während spezifische Düngemittelsanktionen direkt auf Exporte abzielen: Aufgrund des Umgangs mit der Opposition in Belarus hatte die EU diese bereits im Sommer 2021 gegen den marktdominierenden belarussischen Kaliproduzenten »Belaruskali« verhängt und in der vergangenen Woche erweitert.
Der Krieg belastet eine ohnehin angespannte Marktlage für Agrar- und DüngeprodukteAktuell übersteigen die von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) ermittelten Preise für viele Agrarprodukte bereits die historischen Hochs während der Nahrungsmittelpreiskrisen 2007 und 2011. Auch die Düngemittelpreise steigen seit Monaten auf ein Rekordniveau. Engpässe durch verringerte oder ausfallende Lieferungen von Getreide und Dünger aus Russland, der Ukraine und Belarus wirken zusätzlich preistreibend. Wie viele Länder nutzt auch Russland seit Pandemiebeginn zur Sicherung seiner eigenen Versorgung Exportrestriktionen für Agrarprodukte – trotz internationaler Warnungen vor diesen preistreibenden Maßnahmen. Erst diese Woche empfahl die russische Regierung, dass russische Unternehmen auch Düngerexporte begrenzen sollen.
Neben der Ukraine betreffen Ernte- und Lieferausfälle zunächst Länder, die aus der vom Krieg betroffenen Region landwirtschaftliche Erzeugnisse importieren und derzeit nach schnell verfügbaren alternativen Quellen suchen. Dies treibt die Preise auf den globalen Märkten und belastet dann alle Importeure, trifft jedoch einkommensschwache Länder und Menschen schwerer. Ägypten hat einen Importanteil von 60 Prozent russischem und 20 Prozent ukrainischem Getreide. Aber auch andere ohnehin versorgungsgefährdete Länder wie Libanon, Libyen, Jemen, Bangladesch und die Türkei kauften bislang den Großteil aus dieser Region. Die afrikanischen Länder Tschad und Niger importierten bis zu 80 Prozent ihrer Düngemittel sowie deren Rohstoffe aus Russland und Belarus, aber auch Europa und viele Länder Lateinamerikas bezogen große Anteile.
Kurzfristige Engpässe zu höheren Kosten und bei offenem Handel auffangenDie betroffenen Länder haben unterschiedliche Anpassungsmöglichkeiten: Ägypten verfügt trotz starker Lieferabhängigkeit gegenüber der Region über zunächst noch ausreichende eigene Getreidelager. Im Libanon hingegen zerstörte die Hafenexplosion 2020 die Weizenlager und verringerte dadurch Lagerkapazitäten von sechs auf einen Monat, sodass ein kontinuierlicher Zulieferungsstrom nötig ist.
Verbleibende Versorgungslücken, die in Importländern nicht durch Umschichtung wie etwa durch mehr Nahrungs- statt Energieverwertung gelöst werden können, bedürfen Nahrungs- und auch Düngemittelhilfen. Diese werden infolge steigender Bezugs- und Lieferpreise allerdings teurer. Transport und die Auslieferung müssen bei Bezug aus der Region entlang der gefährdeten Route geschützt werden.
Der Handel muss offenbleiben, auf als gefährdet wahrgenommenen Routen eventuell geschützt werden und krisentypische, aber preistreibende Exportrestriktionen vermieden werden, sowohl innerhalb der EU als auch international.
Umsichtige »Food First« -Strategie für mittelfristige Risiken nötigErst in der Erntezeit im Herbst werden ausfallende Lieferungen der großen Agrarregion volle Wirkungen zeigen, die nur zu einem kleinen Teil durch Ernten anderer großer Produzenten wie Australien, die USA und die EU ausgeglichen werden können.
Große Agrarländer könnten eine vorausschauend koordinierte Marktentspannung verfolgen, um Potenziale für die Nahrungsversorgung schnell zu identifizieren. Damit daraus keine Symbolpolitik oder ein Protektionsreflex für die heimische Produktion entsteht, sollten aber Mengen- und Preiseffekte möglicher Ansätze wie Aussetzung von Flächenstilllegungsprogrammen, verringerter Agrarkraftstoffeinsatz oder Flächenumwidmung von Futter- zu Nahrungsmittelerzeugung genau abgeschätzt werden. Ist ein Beitrag zur Marktentspannung zu erwarten, sollten entsprechende Maßnahmen für das anstehende Erntejahr als befristete Krisenmaßnahme schnell auf den Weg gebracht werden. Auf preistreibende Sanktionen hinsichtlich Düngemittel und Agrargüter sollte weitgehend verzichtet werden, zumindest aber sollten sie von Hilfskonzepten begleitet werden, um Versorgungsrisiken aufzufangen.
Das in den vergangenen Agrarpreiskrisen von der G20 entwickelte Monitoringsystem »Agricultural Market Information System« (AMIS) sollte, wie zu Beginn der Corona-Krise, für eine groß angelegte internationale Aufklärungskampagne genutzt werden, um preistreibende Exportrestriktionen mittels Appellen zu verhindern. Wichtiger als diese Appelle wäre es aber, auf WTO-Ebene durchsetzbare strenge Kriterien und Fristen für diese der Versorgungssicherung dienenden Maßnahmen zu beschließen.
Perspektivisch sollte AMIS neben Agrarprodukten, Düngemitteln und Energieträgern den Zustand und Zugang zu Handelsinfrastruktur erfassen. Hier haben Einschränkungen großen Einfluss auf Angebot und Preis. Daher sollte sie in ein umfassendes Warnsystem für internationale Lieferpotenziale Eingang finden.
Für die Zukunft braucht es auch eine internationale politische Offensive für Düngemittel und ihre Rohstoffe: nicht nur die Marktsituation muss erfasst und bei Knappheit durch Hilfen begleitet werden. Es bedarf auch Technologien, um ihren Einsatz effizienter zu gestalten und die Düngemittelproduktion zu steigern. Ansätze zur Substitution – ob technologischer Art oder im Anbau – sind ebenso gefragt.
Dr. agr. Bettina Rudloff ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa der SWP.
PD Dr. habil. Linde Götz ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Agrarmärkte, Agrarvermarktung und Weltagrarhandel am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO).
Die EU-Innenpolitik und die Schengen-Zone stecken in einer Strukturkrise: blockierte Reformen in der Migrations- und Asylpolitik, eingeschränkte Personenfreizügigkeit, erodierendes gegenseitiges Vertrauen. Wie sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf alle diese Fragen auswirkt, ist noch offen. Flexible oder differenzierte Formen der europäischen Zusammenarbeit werden oft als Weg gesehen, Blockaden zu überwinden. Allgemeine Konzepte, etwa für ein Kerneuropa, führen aber praktisch nicht weiter. Je nach Thema müssen die Vor- und Nachteile der differenzierten Integration sorgfältig abgewogen werden. Vergangenes Jahr ist die Europäische Staatsanwaltschaft als Verstärkte Zusammenarbeit eingerichtet worden. Mit diesem in den EU-Verträgen vorgesehenen Verfahren konnte eine neue Integrationsperspektive eröffnet werden. Insgesamt ist der Spielraum für weitere Vorreitergruppen in der EU-Innenpolitik gering und die Kosten steigen. In der EU-Asylpolitik ist der Problemdruck indes so groß, dass derartige Ansätze als Notlösung trotzdem sinnvoll und unausweichlich sein können. »Koalitionen der Willigen« zur europäischen Verteilung von Schutzsuchenden waren bisher wenig erfolgreich. Auch die Reform des Schengen-Regimes wird die teilnehmenden Staaten kaum dazu bewegen, mehr Asylbewerber aufzunehmen. Neue Maßnahmen zum Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen im Rahmen der Massenzustrom-Richtlinie sind ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Solidarität, lösen aber noch nicht die Strukturprobleme der EU-Asylpolitik. Um rechtlich verbindliche Verfahren zur Verteilung von Asylsuchenden zu schaffen, sollte auf mittlere Sicht eine Verstärkte Zusammenarbeit geprüft werden, insbesondere in Verbindung mit Asylgrenzverfahren und einem Krisenmechanismus für große Flüchtlingsbewegungen.
Nur wenige Tage vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine brachte der Chefkommentator der türkischen Tageszeitung »Sabah«, Mehmet Barlas, seine Einschätzung der Lage mit dem Satz »Wenn wir mit einem Krieg rechnen müssten, wäre Staatspräsident Erdoğan heute nicht zu einer viertägigen Reise nach Afrika aufgebrochen« auf den Punkt. Der Präsident sei im ständigen Austausch mit Russlands Präsidenten Putin. »Alle Experten«, so der bekennende Erdoğan-Anhänger weiter, seien sich darin einig, dass Washington die Krise eskaliere, um seine Dominanz in Westeuropa zu verfestigen. Damit gab Barlas auch das allgemeine Stimmungsbild im Lande wieder. Es sei ein Glück, dass Russlands Präsident so viel vernünftiger und klüger sei als sein amerikanischer Gegenspieler.
Verbundenheit zweier RivalenEin solch positives Bild von Wladimir Putin und von Recep Tayyip Erdoğans Vertrautheit mit dem Kremlführer kommt nicht von ungefähr: Mit Putins Hilfe konnte sich Erdoğan seit dem fehlgeschlagenen Putsch 2016 außenpolitisch in wichtigen Fragen unabhängig von den USA und Europa positionieren – und manchmal sogar gegen sie. In Syrien und Aserbaidschan gelang es Ankara und Moskau, westliche Akteure zu marginalisieren. In Libyen und im östlichen Mittelmeer tritt die Türkei als Konkurrent oder gar als Gegner von Mitgliedstaaten der EU auf. Ankaras Flirt mit Moskau und die Sorge, dass die Türkei sich von Europa ganz abwenden könnte, hatten erheblich dazu beigetragen, dass Brüssel Ankara mit Blick auf die Situation im östlichen Mittelmeer und auf Zypern mit Samthandschuhen anfasste und Washington erst spät mit Sanktionen auf den Erwerb des russischen Raketen-Abwehrsystems S-400 reagierte. Zwar hatte Ankara in den Konflikten mit Moskau Putin als kühlen Strategen und schonungslosen Machpolitiker erlebt. Doch schien es Erdoğan stets zu gelingen, Eskalationen zu vermeiden.
Allen Konflikten zum Trotz – durch seine Annäherung an Russland ist Erdoğan seinem Ziel einer strategischen Autonomie seines Landes vom Westen ein ganzes Stück näher gekommen. Die Türkei manövrierte geschickt zwischen den Fronten der globalen Rivalität und konnte dadurch ihren Spielraum und ihren Einfluss in wenigen Jahren beträchtlich ausdehnen. In dieser Schaukelpolitik tritt sie westlichen Staaten gegenüber viel konfrontativer auf als gegenüber Russland. Besonders die Regierungspresse zeichnet seit Jahren ein positives Bild von Russland und ein negatives von den USA und von Europa. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die öffentliche Meinung: Etwa einen Monat vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine votierte in der Umfrage eines renommierten Meinungsforschungsinstituts eine knappe relative Mehrheit von 39 Prozent der Befragten für die außenpolitische Zusammenarbeit mit Russland und China, nur eine Minderheit für die Kooperation mit Europa und den USA.
In den ersten Tagen nach dem Angriff folgte Ankaras Politik exakt dem genannten Muster. Die Türkei verurteilte zwar den Angriff. Sie beteiligt sich jedoch nicht an Sanktionen gegen Russland. Bei der Abstimmung über die Suspendierung der Vertretungsrechte Russlands im Europarat enthielt sich die Türkei als einziger europäischer Nato-Staat der Stimme und hält als solcher auch seinen Luftraum offen für russische Flugzeuge.
Besonderes Augenmerk richtet sich darauf, ob und wie die Türkei den Vertrag von Montreux umsetzt. Das Vertragswerk von 1936 regelt die Passage von Kriegsschiffen durch die türkischen Meerengen Dardanellen und Bosporus ins Schwarze Meer. Es begrenzt die Zahl, die Tonnage aber auch die Dauer des Aufenthalts von Schiffen von Nichtanrainer-Staaten im Schwarzen Meer. Das Übereinkommen sieht vor, dass die Wasserwege im Fall eines Krieges für Schiffe der Konfliktparteien zu sperren sind, und es überträgt Ankara die Anwendung seiner Regelungen.
Ankara schwenkt umDie Türkei ließ sich zunächst vier Tage Zeit, bevor sie die russische Invasion als »Krieg« klassifizierte. Sie schreckt jedoch bis heute davor zurück, die Wasserstraßen – so wie es das Vertragswerk vorsieht – für Schiffe der Konfliktparteien, Russland und Ukraine, auch offiziell zu sperren. Stattdessen warnt Ankara »alle Länder, Schwarzmeer-Anrainer oder nicht«, davor, Kriegsschiffe durch die Meerengen zu senden. Dem Wortsinn nach richtete sich dieser Schritt nicht einseitig gegen Moskau, sondern erschwerte es auch Nato-Schiffen, ins Schwarze Meer zu fahren. Dabei ist eine Sperrung der Wasserstraßen für Kriegsschiffe aller Länder nach dem Vertrag nur dann erlaubt, wenn Ankara sich selbst durch einen Krieg unmittelbar bedroht sieht. Auf diese Weise lavierte die Türkei sich durch die ersten Tage dieses Krieges.
Anfangs fast unmerklich setzte jedoch ein Umschwung ein, und dafür gibt es Gründe: Zum einen zeigt der Westen eine seit dem Kalten Krieg ungekannte Einigkeit und Entschlossenheit, und seine Sanktionen untergraben die Stellung Russlands in der Welt. Zum zweiten verliert Putin sein Charisma als erfolgreicher Staatsmann und verlässlicher Partner. Drittens sieht Ankara, dass Putins Vision eines russischen Großreichs weitere Kriege heraufbeschwören könnte. Und viertens schließen sich die Reihen der Kontrahenten: Für die Türkei wird es schwieriger, die liebgewonnene Schaukelpolitik weiter fortzusetzen.
So kommen aus Ankara in den vergangenen Tagen stark prowestliche Töne. Die Türkei werde im Austausch mit dem Westen fortfahren, die Ukraine zu unterstützen, so der Sprecher des Staatspräsidenten. Außenminister Mevlüt Çavusoglu will nun bereits vor Tagen russischen Wünschen nach einer Passage von Kriegsschiffen durch den Bosporus »in aller Freundschaft« widersprochen haben. Und Staatspräsident Erdoğan spricht sich für die Aufnahme der Ukraine in die EU und des Kosovos in die Nato aus. Zudem widerspricht Ankara nicht, wenn ukrainische Diplomaten berichten, dass die Türkei weitere bewaffnete Drohnen liefert und Drohnenflieger ausbildet.
Es sieht ganz danach aus, als bringe Putin nicht nur lang vermisste Einigkeit in die EU, sondern als rufe er auch Ankara den Nutzen seiner Westanbindung in Erinnerung. Die westlichen Staaten sollten erkennen, dass nur mehr Einigkeit und mehr Entschlossenheit Ankara dazu bringt, sich wieder auf den Westen einzulassen.
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine basiert nicht auf legitimen und nachvollziehbaren Sicherheitsinteressen, sondern ist eine Absage an die Sicherheitsordnung Europas. Dies hat Präsident Putin in seiner Fernsehansprache vom 21. Februar, die den Angriff einleitete, klargestellt. Finnland und Schweden hatten schon davor an die KSZE-Schlussakte von 1975 erinnert, auf die sich Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion verpflichtet hat. Demnach ist die souveräne Gleichheit der Unterzeichnerstaaten zu achten – und damit auch ihr Recht auf die eigene, freie Bündniswahl. Die militärische Aggression Moskaus drängt Helsinki und Stockholm nicht nur in einem noch nie dagewesenen Ausmaß näher an die Nato, sondern macht zudem die Einhegung russischer Macht wieder dringlich, was auch die Stabilität im hohen Norden tangieren wird.
Putins Überfall auf die Ukraine war für Chinas Staatschef Xi Jinping bereits in den ersten Tagen und mit Blick auf drei Aspekte lehrreich. Zum einen für die Beurteilung von Chinas sogenannter strategischer Partnerschaft mit Russland: Das Land bleibt ein wirtschaftlich schwacher, aber militärisch sehr gut gerüsteter und politisch unberechenbarer Partner. Zum anderen für eine Neubewertung der chinesischen Beziehungen zu den USA und ihren Verbündeten: Diese erweisen sich, mit der Nato und der EU, als kompetent im Umgang mit der Krise. Schließlich kann Chinas Strategie, einen Anschluss Taiwans an die Volksrepublik zu erzwingen, grundlegend betroffen sein.
Putins gemeinsamer Auftritt mit Xi bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking sollte als Warnung an den Westen verstanden werden: Wer sich in Fragen wie der der Ukraine den einen zum Gegner mache, müsse auch mit dem andern rechnen. Bisher lässt sich nicht sagen, ob Chinas Führung von der anfänglichen und vielleicht nur scheinbaren Schwäche des russischen Truppenvormarschs überrascht war. Die anschließenden Erfolge an der ukrainischen Front dürften Peking aber gezeigt haben, dass weder Russlands militärische Fähigkeiten noch Putins Siegeswillen zu unterschätzen sind. In kaum variierenden Stellungnahmen bewegt sich Peking bisher verbal geradezu artistisch zwischen dem Bekenntnis, man stehe zum traditionellen chinesischen Grundsatz der territorialen Unverletzlichkeit aller Staaten, und der » Anerkennung der besonderen Situation der Ukraine«: nach fünfmaliger Osterweiterung der Nato habe Russland ein Recht darauf, dass seine legitimen Sicherheitsforderungen berücksichtigt würden. Mit der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat und bei der Verurteilung Russlands durch 141 Staaten durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen schließlich rückte Peking vorsichtig, aber endgültig an die Seite Putins. Die präzise durchdachte Ausbalancierung der Kommentare Pekings zum Ukrainekrieg spiegelt eine Mischung aus Reserviertheit gegenüber und dem Schulterschluss mit einem nicht ganz berechenbaren und gefährlichen, aber in vieler Hinsicht nützlichen Partner.
Die westliche Reaktion überrascht ChinaAus chinesischer Sicht zieht ein gesellschaftlicher und politischer Niedergang der USA sich nun schon über drei Präsidentschaften hin. Diese Einschätzung ist zugleich noch immer temperiert durch den Respekt für die wirtschaftliche, technologische und militärische Leistungsfähigkeit der anderen Supermacht. Dazu kommt die Furcht vor schwer verständlichen, in der Innenpolitik wurzelnden Entwicklungen in Washington, die Pekings Strategien riskant machen können: Da ist ein taumelnder, aber möglicherweise unvermittelt um sich schlagender Riese. Mehr als die Kriegführung Putins dürfte daher die schnelle und effektive Reaktion des Westens die chinesische Führung überrascht haben. Einerseits ließen die USA und ihre Verbündeten sich nicht auf Putins Drohgebärden ein, andererseits entschieden sie unerwartet rasch über wirksame Sanktionen. Peking dürfte diese westliche Reaktion nun auch für den Fall ihrer möglichen Bedeutung für das eigene Land analysieren.
Auch die sonst chronisch zerstrittene EU durchlief einen raschen Prozess der Einigung auf umfassende Maßnahmen, von der Hilfe für die Menschen auf der Flucht über Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Moskau – denen sich selbst die Schweiz anschloss – bis zu Waffenlieferungen an Kiew. Die Fähigkeit zu raschen und weitreichenden gemeinsamen Beschlüssen zeigte sich ähnlich auch in der Nato, in der keine Zerwürfnisse und auch kein aufdringliches Dominanzverhalten der USA zu erkennen waren; selbst die Türkei sperrte den Bosporus.
Eine Pekinger Neubewertung der eigenen Strategie für den Umgang mit sowohl den USA als auch der EU wäre daher nicht verwunderlich. Man muss nun mit einem stärkeren und geeinigteren Westen rechnen, als es die Pekinger »Wolfsdiplomatie« in den vergangenen Jahren angenommen hatte. Ob diese Analyse zu mehr Zurückhaltung auf der internationalen Bühne oder erst recht zu robustem Auftreten führen wird, ist unklar, in jedem Fall wird sie sich auch auf die chinesische Taiwan-Politik auswirken.
Chinas Taiwan-Politik im Licht der EreignisseIn den ersten Tagen nach Beginn des Ukrainekriegs wurde das chinesische Internet noch überschwemmt von patriotischen Stimmen – oft der maoistischen »Linken« zuzurechnen –, die den »Großen Zar« Putin bewunderten und die KP aufforderten, dem russischen Vorbild zu folgen: Taiwan sei Chinas Ukraine, und wie Putin anfangs mit dem Donbass, so sollte China mit den dem Festland vorgelagerten taiwanischen Inseln Kinmen und Matsu verfahren. Die sich bald abzeichnende Widerstandskraft der ukrainischen Streitkräfte gegenüber der gut gerüsteten Armee einer Großmacht wirkte offenbar auf die Lehnsessel-Generäle im chinesischen Internet ernüchternd. Unterdessen schwenkten die chinesischen Medien auf die gleiche Linie ein wie die russischen, und die Internet-Stimmen folgten nach: Die USA seien es, die, gemeinsam mit der Nato, Russland über Jahrzehnte unerträglich provoziert hätten, etwa mit der Nato-Osterweiterung, so, wie sie China im Fall Taiwans provozierten.
Auch wenn dies die Haltung der chinesischen Medien bleibt, dürfte die Führung in Peking ihre Taiwan-Politik im Licht der Ereignisse überdenken: Die kleine Insel ist vielleicht doch nicht, wie es der chinesische Generalstab angeblich anlässlich des Parteitags 2017 Xi Jinping vorgelegt haben soll, innerhalb von 100 Stunden zu erobern. Und der Westen wird vielleicht doch nicht, uneinig und ineffektiv, zuschauend am Rand der Bühne stehen bleiben, wenn die Volksrepublik die Insel »heim ins Reich« holt. Ob die KP nun wieder auf eine stärkere Betonung diplomatischer Maßnahmen setzt, um das Ziel der Vereinigung Taiwans mit dem Festland unter kommunistischer Führung zu erreichen, wird sich sehr bald herausstellen.
Digital vernetzte Technologien prägen weltweit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die allermeisten davon erwachsen aus technischen und politischen Praktiken, die weit über einzelne Staaten hinausweisen. Ihre Gesamtheit lässt sich als globale digitale Ordnung beschreiben. Diese wird zusehends durch autoritäre Regime herausgefordert. Die G7 sollten dem »dichte« Kooperation wo möglich und »dünne« Koordination wo nötig entgegensetzen.
Die Gefahr einer autoritären UmgestaltungVon den 1990er Jahren an war die globale digitale Ordnung lange von den USA geprägt. Dagegen zielen seit einigen Jahren immer mehr Staaten darauf, die Souveränität über »ihren« Teil der globalen Ordnung zurückzugewinnen. In der Logik von Netzwerken gesprochen: Sie versuchen, zentrale Machtpositionen innerhalb von Subnetzwerken zu schaffen. Während es liberalen Staaten dabei jedoch um Datenschutz und Monopolbegrenzungen geht, sehen autoritäre Staaten das Internet zunehmend als Herrschaftsinstrument. China und Russland gehen dabei noch einen Schritt weiter: Ihr Ziel ist nicht nur mehr Kontrolle nach innen, sondern auch eine darüber hinausgehende Umgestaltung der globalen digitalen Ordnung.
Ein eindrückliches Signal ist hier die gemeinsame Erklärung von Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping zu Beginn der olympischen Winterspiele in Peking. Darin fordern sie die »Internationalisierung der Internet Governance«. Gemeint ist damit die Stärkung nationalstaatlicher Kontrolle und dementsprechend der Rolle zwischenstaatlicher Organisationen wie der International Telecommunication Union (ITU). Diese Forderung ist nicht neu. Dass beide Staaten sie als Priorität auf höchster Ebene behandeln, sollte aber zu denken geben.
Die Gefahr weiterer FragmentierungDabei kommt diesen autoritären Staaten zugute, dass die institutionellen Strukturen globaler Kooperation zunehmend unübersichtlich geworden sind. Neben den traditionellen Formaten multilateraler Kooperation und den ebenso etablierten Strukturen zur (Weiter-)Entwicklung technischer Standards existiert heute eine Vielzahl von Multistakeholder-Formaten, die sich Themen wie Internet Governance, Cybersicherheit oder Künstlicher Intelligenz widmen.
Für Staaten wie China und Russland ist dies schon an sich ein Erfolg. Die institutionelle Fragmentierung überfordert viele Akteure, schafft Widersprüche und führt oftmals zu Blockaden und Stillstand. Das ungeregelte Nebeneinander bietet zudem immer wieder Gelegenheiten, die Veto-Macht des Westens in den etablierten Strukturen zu umgehen.
Unter dem Eindruck von Russlands Angriff auf die Ukraine ist damit zu rechnen, dass auch diese globalen Kommunikationsnetze Teil der Auseinandersetzung werden. Die großen sozialen Netzwerke haben bereits Partei ergriffen – ein weiteres Beispiel für die enorme politische Macht dieser Unternehmen – und die Nutzung ihrer Plattformen durch die russische Regierung und Staatsmedien erheblich eingeschränkt. Noch fundamentaler hat die ukrainische Regierung gefordert, russische Websites aus den weltweiten Strukturen des Internets auszuschließen. Technisch wäre dies durchaus umsetzbar. Dabei droht jedoch eine politische Dynamik, an deren Ende nicht mehr viel vom gemeinsamen globalen Fundament des Internets übrig bliebe. Zudem würde eine solche Maßnahme es den Bürgerinnen und Bürgern Russlands noch weiter erschweren, Informationen aus dem Ausland zu erhalten.
Digitale Kooperation unter alten und neuen VerbündetenSchon kurz nach Amtsantritt hat die Biden-Administration eine Reihe von Vorschlägen dazu lanciert, wie die Demokratien bei digitalpolitischen Fragen besser kooperieren könnten. Einen konkreten Ansatz hierzu bildet der »US-EU Trade and Technology Council«, der im Juni 2021 ins Leben gerufen wurde; zudem gibt es weitergehende Ideen für einen Zusammenschluss der »Techno-Democracies« oder eine »Alliance for the Future of the Internet«.
Dringend notwendig ist aber auch eine Perspektive für die Zukunft globaler Zusammenarbeit – gerade dann, wenn die Bedingungen dafür schwierig sind. Um noch einmal die Logik von Netzwerken zu bemühen: Die Kooperation liberaler Demokratien schafft im besten Falle ein dichtes, belastbares Netz an Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren. Diese Kooperationsbeziehungen sollten aber ergänzt werden um inklusive, wenn auch dafür dünnere und entsprechend weniger belastbare Netzwerke, die auch nicht-demokratische Staaten einbeziehen.
An dieser Stelle nun kommen die G7 ins Spiel. Unter der Überschrift »starkes Miteinander« hat sich Deutschland für seinen G7-Vorsitz unter anderem vorgenommen, eine demokratische Antwort auf die Entwicklungen im Bereich der globalen digitalen Ordnung zu finden. Jenseits einzelner Sachfragen – von Cybersicherheit und Verschlüsselungstechnologie bis hin zum datenschutzkompatiblen Datenaustausch über Staatengrenzen hinweg – gilt es, auch die schwierige Frage der zukünftigen Institutionenordnung zu stellen.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die bereits laufenden Prozesse im Rahmen der Vereinten Nationen. 2020 hat VN-Generalsekretär António Guterres 2020 eine »Roadmap for Digital Cooperation« vorgestellt. Darin nimmt er jene Themen in den Blick, die für eine Großzahl der VN-Mitgliedsstaaten von Bedeutung sind: von Fragen wirtschaftlicher Entwicklung und digitaler Inklusion über den Schutz der Menschenrechte bis hin zur Sicherheitspolitik. Daneben gibt es schon seit langem Verhandlungen um Normen für das Verhalten von Staaten im Cyberspace, gerade in diesen Tagen haben nach langem Vorlauf die Verhandlungen um eine neue Cybercrime Convention begonnen. Für all diese Prozesse stellt sich nun sehr grundsätzlich die Frage, wie mit einem Russland unter Putin umzugehen ist. Gerade jetzt aber sollten diese Foren aktiv genutzt werden, um sich den autoritären Bestrebungen entgegenzustellen. Wie die Forderung nach einem Abkopplung Russlands vom globalen Internet zeigt, sollten dabei auch die stärker technisch ausgerichteten Foren, von der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) bis zur ITU, im Blick behalten werden.
Afghanistan’s Central Asian neighbours have generally reacted pragmatically to the Taliban’s seizure of power there. For the autocratically ruled, secular states on the periphery of the former Soviet empire, economic cooperation and the stabilisation of humanitarian and political conditions in Afghanistan are at the forefront of their interests in maintaining relations with their southern neighbour. According to official discourse, Central Asia’s entrenched secularism is not challenged by the Taliban’s Islamism. On social media in Central Asia, however, the Islamic emirate of the Taliban is portrayed as a political counter-model; one which is more positively received in countries with greater discursive freedom and under governments whose policies more openly confront the Taliban. This reveals a trend towards Islamist-inspired identity formation that will be difficult to stop through censorship and repression.
Armenien ist Russlands engster Partner im Südkaukasus. Beide sind Bündnispartner im Rahmen der »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit«, zudem ist Armenien Mitglied in der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Russische Grenzschützer unterstützen Armenien bei der Sicherung von nunmehr drei der vier Landesgrenzen; russische Unternehmen haben in strategischen Wirtschaftssektoren des Landes investiert. Es ist daher nicht überraschend, dass Armenien, obschon offizielle Stellungnahmen um Neutralität bemüht waren, als einziges Land am 25. Februar mit Russland gegen dessen Ausschluss aus dem Europarat gestimmt hat. Die Abstimmung bedeutet nicht, dass die politische Führung in Eriwan, die 2018 in Folge der »Samtenen Revolution« mit einer Demokratisierungs- und Reformagenda an die Macht kam, hinter der russischen Aggression gegen die Ukraine steht. Vielmehr ist sie Ausdruck ihres begrenzten außenpolitischen Handlungsspielraums angesichts der engen, stark asymmetrischen Beziehungen zu Russland. Diese Asymmetrie dürfte sich nun weiter verengend auf den außen- aber womöglich auch innenpolitischen Spielraum auswirken. Denn dass Armenien ein gelungenes Beispiel dafür ist, wie Kooperation mit der EU – Eriwan und Brüssel sind über ein Abkommen zu umfassender und vertiefter Partnerschaft verbunden – und mit Russland in Einklang gebracht werden kann, war schon zuvor von Beobachterinnen und Beobachtern mit einem großen Fragezeichen versehen. Unvermeidbar scheint indes, dass die Wirtschaftskrise, in die Putins Krieg Russland treibt, durch Rubelverfall, wegfallende Geldtransfers und geschwächte Wirtschaftskraft auch Armenien in Mitleidenschaft zieht.
Aserbaidschan zwischen den RegionalmächtenAuch aus Aserbaidschan gab es zunächst kaum offizielle Stellungnahmen. Das Außenministerium ließ lediglich verlauten, die Situation müsse auf diplomatischem Weg gelöst werden; später bot sich Baku als Verhandlungsort an und schickte humanitäre und medizinische Hilfe in die Ukraine. Für die aserbaidschanische politische Führung ist die Lage diffizil: Am 22. Februar, ein Tag nachdem Moskau die Separatistengebiete Luhansk und Donezk als unabhängig anerkannt hatte, unterzeichneten die Präsidenten Russlands und Aserbaidschans eine »Deklaration über alliierte Zusammenarbeit«. Darin ist unter anderem festgehalten, bei außenpolitischen Fragen kooperieren, die militärische Zusammenarbeit weiter ausbauen zu wollen und auf solche wirtschaftlichen Aktivitäten zu verzichten, die den Interessen des jeweils anderen direkt oder indirekt schaden. Die Deklaration hat nicht nur aufgrund des Zeitpunkts, sondern auch deshalb Fragen aufgeworfen, weil Baku nach dem »44-Tage-Krieg« in und um Berg-Karabach seine Beziehungen zum traditionell engen Partner Türkei, ebenfalls Regionalmacht im Südkaukasus mit eigenen Gestaltungsansprüchen, weiter vertieft und im Juni 2021 die »Schuscha Deklaration über alliierte Beziehungen« mit Ankara unterzeichnet hatte. Ankara und Moskau selbst hatten bislang einen pragmatischen Umgang miteinander im Südkaukasus gefunden. Wie dieser angesichts der aktuellen Entwicklungen fortgesetzt wird – die Türkei ist Nato-Mitglied und hat das russische Vorgehen gegen die Ukraine rasch verurteilt – ist unklar. Die weitere Entwicklung der türkisch-russischen Beziehungen dürfte sich auch auf Aserbaidschans außenpolitische Optionen niederschlagen. Bakus Bürgerinnen und Bürger dagegen haben am Wochenende klarer als ihre Regierung Position bezogen und gegen den Krieg aber auch gegen Putins Russland protestiert.
Volte Face in TiflisGeorgien ist das einzige Land im Südkaukasus, das wie die Ukraine eine Mitgliedschaft in Nato und EU anstrebt. Zusammen mit der Ukraine und Moldau hat es sich zum »Assoziierten Trio« zusammengeschlossen, um letzterem Vorhaben gemeinsam mehr Nachdruck zu verleihen. Obwohl Tiflis sowohl die Anerkennung der Separatistengebiete Luhansk und Donezk sowie den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilte, waren die Reaktionen lange zurückhaltender als von vielen erwartet – gerade auch angesichts der eigenen Kriegserfahrung mit Russland. Die von Georgien abtrünnigen de facto Staaten wiederum folgten Russlands Anerkennung. Schon vor Kriegsausbruch hatte es Georgiens Regierungspartei vermieden, Russland in ihrer Ukraine-Resolution namentlich zu erwähnen. Zudem lehnte sie die von Staatspräsidentin und Opposition vorgeschlagene Sondersitzung des Parlaments zur Ukraine ab. Besonders kritischen Nachhall fand jedoch die Erklärung von Premierminister Gharibaschwili, Georgien würde sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht anschließen – diese seien ineffektiv. Die Reserviertheit der georgischen Führung enttäuschte die ukrainische Seite derart, dass sie ihren Botschafter aus Georgien abberief, und steht im klaren Widerspruch zur enormen Solidarität, die Georgiens Zivilgesellschaft der Ukraine entgegenbringt. Politische Opposition und Experten bemängelten, dass Georgien viel stärker seine eigenen sicherheitspolitischen Herausforderungen mit denen der Ukraine in Beziehung hätte setzen müssen. Noch kritischere Stimmen warfen der Regierung vor, sich wegzuducken. Obschon die Regierungspartei noch die vergangenen Tage bekräftigte, es bleibe beim geplanten Antragsdatum 2024, hat sie am 2. März mit der Erklärung, sie wolle – ähnlich wie zuvor die Ukraine – Georgiens EU-Mitgliedschaft im Eilverfahren beantragen, eine Kehrtwende hingelegt. Dem vorausgegangen waren Demonstrationen, die nicht nur Unterstützung für die Ukraine bezeugten, sondern sich auch gegen die passive Haltung der eigenen Regierung richteten.
Dass die EU nach Kritik an ihrer mangelnden Sichtbarkeit im Südkaukasus eine größere Präsenz anstrebt, hat sie im vergangenen Jahr etwa durch ihr Engagement zur Lösung der innenpolitischen Krise in Georgien unterstrichen. Die Frage ist, wieviel Spielraum ihr dafür bleibt. Denn die tektonischen Verschiebungen, die Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, treffen im Südkaukasus auf eine Region, die bereits aufgrund des armenisch-aserbaidschanischen Kriegs um Berg-Karabach im Herbst 2020 von Dynamiken regionaler Machtverschiebung und Neuordnung gekennzeichnet ist. Die Wahrnehmung des Kriegs gegen die Ukraine vor Ort geschieht daher jeweils auch durch das Prisma der regionalen Konflikte im Südkaukasus und wie sich Russland, die Ukraine und EU darin bislang positioniert haben. Die offiziellen Reaktionen aus dem Südkaukasus auf den russischen Angriff spiegeln nicht zuletzt Russlands gesteigerten Einfluss in der Region wider.
The decision to openly and massively attack Ukraine culminates the longer-term trend towards a militarisation of Russian foreign policy. However, this time the armed forces are not being deployed in a limited way, but much more extensively, and the Russian leadership is prepared to take military risks and accept significant costs (e.g. casualties).
This points to a fundamental change in the Kremlin’s cost-benefit calculation. Economic losses and rationality (sanctions) hardly play a role anymore; issues of national identity and the role model as a great power are the guiding principles. This is reflected in the pseudo-historical argumentation with which Putin denies Ukraine the right to exist as a sovereign state, as well as in the maximum demands he makes on Ukraine and NATO. Putin’s call for the “demilitarisation” of Ukraine shows that he no longer sees an alliance-free Ukraine as a sufficient goal; instead, he is concerned with creating a vassal that is no longer capable of self-defence. The demand for the “denazification” of Ukraine proves that the militarily enforced replacement of the political leadership with a pro-Russian puppet government is an integral goal of the military operation.
Regardless of what plans Russia’s leadership is pursuing for the time after the invasion (vassal state, incorporation into a union state with Belarus, partition models): control over Ukraine is seen as a prerequisite for establishing a zone of influence in the post-Soviet space and for indirectly reshaping the Euro-Atlantic security order in its favour. The draft treaties submitted to the USA and NATO in December 2021 show that Moscow would not be satisfied with a security-motivated buffer zone in the post-Soviet space; indeed, the territories of the eastern NATO members are targeted as such a buffer-zone, from which the Alliance is to withdraw militarily.
With the invasion of Ukraine, talks with Russia regarding the Euro-Atlantic security order are obsolete for the time being. NATO and the EU must prepare for further Russian provocations and the possibility of escalation beyond the territory of Ukraine. Putin implicitly threatens nuclear escalation if western states intervene; clashes at sea and in the air also possess the potential for further escalation. Above all, EU and NATO states must realise that they have long been part of Russian warfare: In Russian military thinking, modern wars are no longer formally declared. Rather, they simply evolve and are waged significantly by non-military means. Against this background, disinformation forms an integral part of psychological warfare (“mental’naya voyna”) in which interpretational sovereignty of the conflict is to be won. Parallel to cyber-attacks, an expansion of subversion and intelligence activities is to be expected.
Demonstration of power in foreign and domestic politicsMoscow’s aggression against Ukraine is not motivated by domestic politics. It is not an attempt to repeat the mobilisation effect of the Crimean annexation. Rather, it is about achieving neo-imperialist and revisionist goals.
Russian society is unlikely to put up significant resistance in the short term. Increasing state repressions have achieved two goals: they have intimidated the growing minority in the country willing to protest. And they have crushed the opposition structures that still existed at the political level and in civil society. Large rallies like those against the annexation of Crimea and the war in the Donbas in 2014 and 2015 are hard to imagine today. The assassination of Boris Nemtsov in February 2015, one of the leaders of the protests at the time, looks in retrospect like a grim omen for the current situation.
On the other hand, this war will not have a mobilising effect. In Russian society, the traumas from two Chechen wars, the Afghan war and the Second World War are still present. In particular, the memory of the latter has been systematically built into a “defensive” propaganda narrative, which is also being used now in a targeted manner. The goal of the Russian special operation, according to Putin, is the “denazification” of Ukraine. He claims that Russia is defending itself against a “fascist mob” controlled by the West. Without this narrative, it will be difficult to win over the Russian population to the campaign in the long run. Russian casualties are already being covered up inside the country – similar to the casualties during Russia’s involvement in the Donbas war in 2014 and 2015.
Repression will continue to increase. More than 5,000 people have already been detained (and some of them abused) since the beginning of the aggression. Strict censorship and persecution of independent media will also continue to increase. The nationally-televised meeting of the National Security Council on the recognition of the “people’s republics” on 21 February was a demonstration of Putin’s omnipotence vis-à-vis the top leadership of the government, parliament and security services. At the same time, the Russian president delegated part of the responsibility for the events to the members of the Security Council – some of whom seemed very unsettled – as well as the Belarusian ruler Lukashenko, who is once and for all only a willing instrument of Russian politics.
The war against Ukraine could well have a destabilising effect on the Russian autocracy. In the short term, however, this is hardly to be expected. Talks about the beginning of the end of Putin’s rule, which can now be heard on various occasions, may be justified. However, it will not save Ukraine, which is currently being overrun by Russian tanks.
What are the options for additional sanctionsIn response to the Russian war against Ukraine, the Western states imposed far-reaching sanctions. Financial sanctions in particular were the means of choice due to their immediate effect. Russian banks were cut off from the international financial system to varying degrees and the reserves of the Russian Central Bank were frozen, depriving it of the possibility to cushion the sanctions’ effects.
However, more powerful than the specific measures are the general uncertainty and the associated punishing reaction of the markets. It is impossible to predict which trade and financial transactions with Russia will still be possible even in the near future. In light of this, and due to reputation concerns, many large companies have announced that they will leave Russia as soon as possible or stop exports and imports.
To prevent a crash of the rouble and panic among the population, the Russian central bank introduced severe capital controls. Foreign (not only Western) investors were summarily prohibited from selling securities and investments. Thus, the decline of the rouble remained mild at first. However, the central bank’s prohibitions are massive encroachments on investors’ property rights, which will destroy confidence in the Russian capital market for many years to come. Even if the sanctions were lifted, Russia would still be burned as a place to invest.
The increasingly brutal war being waged by Russia, which is now also targeting the Ukrainian civilian population, poses the question of further possible measures against Moscow. The sanctions against banks could be extended: So far, only a handful of them are affected by the toughest so-called US “blocking sanctions”. In addition, the pressure on Russia could also be increased with an oil embargo. The oil trade pours about US$700 million per day into Russian coffers (in addition to about US$150 million for gas exports).
An oil embargo against Russia is only partially possible, because China would not participate in it, and it would have to be internationally coordinated. Otherwise, price increases on the already tense energy markets could nullify the financial effect on Russia. An embargo would have to be implemented quickly in order to influence the outcome of the war. An immediate but initially temporary measure – an embargo for one month – is therefore conceivable, accompanied in parallel by the concerted sale of oil from international strategic reserves. At the same time, political pressure would have to be exerted on OPEC producing countries to utilize free production capacities. The commercial interest of these states in taking market share from Russia, in a moment when Moscow faces international condemnation, could help to ensure their cooperation.
The full-scale invasion as a worst-case for UkraineUntil the day of the Russian invasion, the Ukrainian leadership tried everything to avoid alarmism inside the country, to give Russia no reason for a new intervention and to start new diplomatic initiatives. In addition, President Selensky has made great efforts to alleviate the economic consequences of the crisis through tax cuts and the proclamation of “economic patriotism”. The President has become an optimistic and empathic voice for all Ukrainians and a solidarity-generating icon in the West.
A new unity can be observed in Ukraine’s political spectrum, which is necessary in view of the Russian threat and the attack that has ensued. All parliamentary factions, which announced a “coalition of defence”, but also Selensky and his predecessor Poroshenko, joined forces. It will be interesting to see whether Ukraine’s most important oligarchs, for example Rinat Akhmetov and Igor Kolomoisky, want to and are able to play an important role in the country’s defence, as they did in 2014. Pro-Russian forces in Ukraine are now forced to adopt a clear position – moreover, it is apparent that they have become a marginal factor since 2014.
Until the attack, the army cherished hope that Russia would only attack in eastern Ukraine. This was a misjudgement. Now, as feared in worst-case scenarios, the armed forces must defend themselves against a full-scale invasion from various directions. Despite the upgrading of the Ukrainian army, better training and eight years of war experience, it is to be feared that Ukraine will not be able to withstand the pressure of the Russian army for long. This is especially true since 28 February when the Russian army changed tactics towards increased artillery shelling and air raids.
This leaves the Ukrainian leadership with essentially two realistic options: to delay defeat by pushing back the enemy by days and thus frustrate Russia’s calculation of a quick victory. This would cause great damage to the Russian leadership in terms of foreign and also domestic policy and counter the Russian narrative of a very short “special operation”. A sudden end of the war caused by subsequent regime instability in Moscow could be a possibility. But this option comes with the risk of high casualties and destruction in Ukraine. Another option would be to ask Moscow to enter into negotiations quickly, whereby sustained and above all successful military resistance would be the key to at least dissuading Russia from maximum demands such as a change of government or the deployment of Russian troops. This has failed so far with the negotiations at the Belarusian border on 27 and 28 February.
Stress test for NATONATO emphasises that it will not intervene militarily in Ukraine. Its task is to protect the allies, and its deterrence and defence measures are of a defensive nature (“preventive, proportionate and non-escalatory”). At the same time, the possibility of military action spilling over into allied territory due to unintended or planned Russian action cannot be ruled out.
The Alliance must prepare to defend its allies in conventional, hybrid and nuclear scenarios. The nuclear signalling became evident through exercises with nuclear capable missiles on 19 February 2022, Putin’s references to “consequences [...] that you have never experienced in your history”, in his 24 February 2022 speech and with Putin putting the deterrence forces on alert on 27 February 2022.
Over the last few weeks, NATO had already increased the readiness of its forces, intensified maritime surveillance and air patrolling, increased the presence of NATO troops in the eastern and south-eastern part of the Alliance and adapted its deterrence and defence posture, such as by establishing a NATO battlegroup in Romania. These measures were reinforced with the decisions of the extraordinary NAC meeting on 24 February 2022: NATO defence plans were activated, additional land, sea and air forces in high readiness to respond in forward positions along the whole eastern border of NATO, a higher readiness of the rest of the troops, and Command and Control were streamlined to give NATO Supreme Allied Commander in Europe (SACEUR) more authority.
Following the NATO summit on 25 February 2022, the NATO Response Force (NRF) was activated and the Alliance declared that Russia had walked away from the 1997 NATO-Russia Founding Act. The latter emphasises basic principles such as territorial integrity, but also interdicts the permanent stationing of substantial combat forces in the new member states. Apart from the political message, this statement allows NATO to substantially increase its presence on the territories of the most exposed allies: in the northeast (Baltic States, Poland) and southeast (Romania, Bulgaria).
In addition to management of the acute crisis, the long-term thinking of how NATO will deal with Russia in a future confrontational security order in Europe and what adjustments will be necessary in the political, economic and also defence policy spheres has already started. Replacing a cooperative-integrative order by a confrontational one in which Russia uses military means to assert its interests requires a stronger focus on deterrence and defence. This includes, for example, an adjustment of defence planning to address a modified Russian posture, including through the soft annexation of Belarus. This in turn requires additional contributions from individual allies.
The EU on the verge of becoming a security actorThe EU is challenged in its very foundations by the Russian attack on Ukraine – as a peace project, as a champion of a multilateral world order, in its responsibility for the security of its members and in its economic order.
After a short moment of shock, the EU – in close coordination with the USA, but also with ex-member United Kingdom – has imposed unprecedented sanctions against Russia. The Union, with its single market and as Russia’s largest trading partner, is the central framework for enforcing these sanctions. But it is also a vehicle for maintaining the unity of the West. The sanctions include a financial cut off from the global markets, closing of EU airspace, prohibiting Russian state media in the EU, targeting Putin and oligarchs personally and more. Paradoxical as it may sound, the much-maligned unanimity rule has not prevented the EU from imposing these unprecedented sanctions in record speed. It has even forced states with close ties to Russia, such as Hungary, to join the common course. For the first time, the EU also does not only support the Ukraine economically, but uses its EU peace facility to finance weapons delivery to Ukraine.
A second immediate challenge for the EU is to deal with the secondary effects of the war. Many people from Ukraine are seeking protection in the EU. What is needed is rapid humanitarian aid, the building of reception capacities and, in the medium term, a regulation on how these people can be distributed within the EU. At the same time, the EU must prepare for the consequences that the war, but also the sanctions policy, will have for its own economy. The expected massive impact on gas and oil prices will further boost the already high inflation – at the risk of destabilising the Eurozone. If energy supplies are affected, EU states should work together to secure alternative supplies, if necessary with their combined purchasing power.
In the medium to long term, the aim is to massively reduce dependence on Russian energy sources and thus vulnerability. This strengthens the Green Deal agenda, but also the efforts to find alternative sources of imports. On the other hand, the EU must cushion the once again increased security dependence on the USA by significantly reinforcing European military capabilities. This requires the closest possible coordination with NATO, but also flexibility under the stability and growth pact for national budgets to make the necessary investments.
USA: Committed and closely aligned with EuropeLaura von Daniels, Marco Overhaus, Johannes Thimm
The United States is once again at the centre of European security – despite the intended turn towards Asia. For Washington and its allies the key question is whether the current economic, political and security measures can stop Russian aggression. Beyond that, will the US be able to maintain domestic political support?
As announced, President Biden has tightened financial and economic sanctions following the Russian invasion of Ukraine. He has done so in close coordination with the EU and the other G7 countries. US sanctions now target the ruling elite as well as President Putin himself, major publically owned banks and private financial institutions. In the long term, bans on technology exports will have particularly devastating consequences for the Russian economy. After holding back for a while, Biden and the Europeans have also agreed to cut-off several Russian lenders from the SWIFT-system, a severe measure just short of excluding energy companies. Another bold measure was to effectively block the Russian Central Bank from using its foreign reserves, dealing an immediate blow to the Russian banking system it will find hard to recover from, unless a major lender steps in. The sanctions will affect the broader Russian population.
Although Ukraine is not a NATO member, the US has invested considerable political and financial capital in the country since 2014, including economic aid and arms deliveries. Washington is continuing these deliveries – now joined by many other NATO countries and even the EU – in an attempt to enhance the military costs to Russia without directly intervening in Ukraine. It is questionable, however, if these costs, along with the impact of economic sanctions, will suffice to pressure Moscow into a ceasefire. Over the last couple of weeks, the US has significantly increased its military presence in Europe, and specifically along NATO’s eastern flank. From Washington’s perspective a major concern is whether China will exploit the US’ preoccupation with Eastern Europe to increase pressure on Taiwan.
Domestically, the Biden administration has some room for manoeuvre. Key players in both parties are pushing to increase the pressure on Russia even further, but during a crisis situation the initiative lies with the president. Among congressional Republicans, those arguing that the war in Ukraine does not affect American interests are in the minority, even as Donald Trump and some of his supporters praise Putin and criticise Biden’s handling of the crisis. So far, the majority of the American public rejects direct US military involvement. Most Americans generally support sanctions, but less than half do so if they lead to higher prices. Rising gasoline costs could affect the midterm elections in November, eroding the current unity. To tamper price hikes and maintain support his policies the Biden administration plans to release some of the strategic oil reserve.
Time for intensive exchange with ChinaNadine Godehardt, Hanns Günther Hilpert
How China assesses the Russian attack on Ukraine is not easy to gauge at the moment. So far, there has been no clear statement from the Chinese leadership to directly condemn or support the Russian attack in Ukraine; only well-known positions have been repeated: China takes the security concerns of all countries – including Russia – seriously; America is behaving like a warmonger; the national sovereignty and territorial integrity of all countries – including Ukraine – must be preserved.
Officials explicitly emphasise that Ukraine is not to be compared to Taiwan. Unlike Ukraine, which is regarded as an independent state, Taiwan is a historical part of China. In this context, well-heard voices consider the Russian attack on Ukraine as an interesting “model case” for Chinese Taiwan aspirations. But these views are in the minority and do not represent Beijing’s official view. In order to avoid unnecessarily enhancing this Chinese minority position, German and European voices should therefore avoid constructing an intentional logical connection between Ukraine and Taiwan. Even before the Russian attack, Hua Chunying, spokesperson of the Chinese Foreign Ministry, formulated China’s strict rejection of international sanctions against Russia. And on Monday, the Chinese government explicitly reiterated that it would not support sanctions against Moscow. But it remains to be seen as to which extent China will provide economic support to Russia beyond what has already been agreed on. In any case, additional support for Moscow, which would undermine the sanctions and take the economic pressure off Russia, would put a lasting strain on EU-China relations.
At present, Beijing seems to have settled on the course of accepting and not condemning Russia’s actions, while at the same time closely monitoring the situation in Ukraine and the reactions of the USA and Europe. According to Chinese media, Xi expressed understanding for Russian security interests in a personal conversation with Putin, but also emphasised the centrality of national sovereignty and territorial integrity. Without direct exchange with Beijing, however, no one knows what opportunities the ambiguous Chinese position could offer Europe. The time has come to exchange information directly and in detail with Beijing. The phone call between Foreign Minister Baerbock and her Chinese colleague Wang Yi, thus, is only a first step. The German government needs to further convey its position on the Russian attack on Ukraine and also call on Beijing for support in its stance towards Russia. Even without participating in the international sanctions, Beijing could take effective action. China has a vested interest in the political and economic stabilisation of Europe and does not want to be seen as a complicit supporter of Russian aggression. Germany should not underestimate its political leverage vis-à-vis China, especially in light of the decision to halt the authorization process for Nord Stream 2 and its approval for blocking Russian banks in the SWIFT system. These decisions may have come as a surprise to Beijing.
Russia’s argumentation under international lawRussia’s armed attack on Ukraine constitutes a serious violation of the prohibition on the use of force according to Article 2(4) of the UN Charter. Russia had already violated international law by recognising the self-proclaimed “People’s Republics” of Luhansk and Donetsk. For the leadership in Moscow, international law obviously does not matter as a normative compass. Nevertheless, the Kremlin uses the language of international law trying to lend some legitimacy to its actions. The President’s addresses of 21 and 24 February reflect this effort. Four partly interlinked lines of argumentation can be discerned.
First, President Putin claims that it was necessary to stop the “atrocities” and “genocide” of millions of people in the Donbas. Apart from that, Russia generally asserts the right to protect its citizens and compatriots abroad, which is a key component of Russian military doctrine.
Secondly, Russia invokes the agreements of 21 February on friendship and mutual assistance concluded with the two “People’s Republics”. This justification amounts to the claim that Russian troops were deployed to eastern Ukraine at the request and with the consent of these entities.
Thirdly, the Kremlin constructs a case of collective self-defence, namely defence of the two “People’s Republics” against an armed attack by Ukraine. President Putin’s statement that Russia will “demilitarise and denazify” Ukraine also fits in with this context.
Fourth, President Putin speaks of a fundamental threat to Russia created by “irresponsible Western politicians”, especially in the form of NATO’s eastward expansion, and involving the “regime” in Kyiv. This is a particularly alarming element in President Putin’s speech. According to Mr. Putin, the USA and its Western partners, after the disintegration of the Soviet Union, had immediately tried to “finish off and utterly destroy” Russia. In his understanding, it was now “a matter of life and death” for Russia. There was a real threat to the very existence of the Russian state, and the West had crossed the red line.
“In this context”, Russia had taken the decision to carry out a “special military operation” in accordance with Article 51 of the UN Charter to defend itself and its people. Irrespective of the fact that the justification is factually unfounded, it becomes clear that Russia is following an extremely broad understanding of preemptive self-defence that is in no way covered by international law.
Angesichts der russischen Aggression auf die Ukraine hat die Bundesregierung angekündigt, die Abhängigkeit von russischem Gas möglichst schnell zu reduzieren. Sie will die Energieversorgung unter anderem durch eine Diversifizierung der Gas- und Kohlelieferanten, den Bau von zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) sowie einer Kohle- und Gasreserve sichern. Schon 2035 soll Deutschland zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen. In der Tat steht die Bundesregierung vor enormen Dilemmas und schwerwiegenden langfristigen Richtungsentscheidungen, die mit ihren geopolitischen und geoökonomischen Implikationen weit über diese Maßnahmen hinausgehen.
Dilemmas und RichtungsentscheidungenDer Ukraine-Krieg stellt die Energietransformation vor signifikanten Dilemmas. Einerseits muss sie an Tempo und Tiefe gewinnen, auch um die Abhängigkeit von russischen Lieferungen drastisch zu reduzieren. Anderseits zeigt sich der Trade-off zwischen hohen klimapolitischen Ansprüchen und Versorgungssicherheit noch vehementer als vor dem Krieg in der Ukraine.
Die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu reduzieren ist angebotsseitig nur durch die beträchtliche Ausweitung von Flüssigerdgas-Importen möglich. Es bleibt allerdings offen, ob ausreichende LNG-Kapazitäten dauerhaft für Deutschland und Europa verfügbar sein werden. Einerseits haben die USA als wichtigster Exporteur Probleme beim Infrastrukturausbau. Andererseits ist der LNG Anteil am globalen Gasverbrauch vergleichsweise gering und der Markt umkämpft. Darüber hinaus ist die Umweltbilanz der gesamten LNG-Wertschöpfungs- und Lieferkette insbesondere für Flüssigerdgas aus den USA schlecht und steht somit in Widerspruch mit den Klimazielen der Bundesregierung.
Ein beschleunigter Ausstieg aus russischem Gas müsste idealerweise nicht nur durch einen noch schnelleren Ausbau von erneuerbaren Energien erreicht werden, insbesondere der Windkraft, da diese der größte Anteil am Bruttostromverbrauch ausmacht. Es bedarf auch einer noch schnelleren Reduktion des Endenergieverbrauchs, der Elektrifizierung von Wärme und einer deutlichen Beschleunigung beim Ausbau der nationalen und internationalen Strominfrastruktur.
Der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken wäre denkbar, würde den ambitionierten Klimazielen aber zuwiderlaufen. Der Ausstieg aus dem Kernkraftausstieg würde hingegen dabei helfen, die Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig den Gasbedarf zu verringern, ist aber ohne eine politische Grundsatzdiskussion und sozialen Konsens nicht durchsetzbar.
Unter diesen Bedingungen müsste die Bundesregierung dem Markthochlauf von Wasserstoff absolute Priorität einräumen, da dieser sowohl als Energiespeicher als auch als Energieträger einsetzbar ist. Hohe Energiepreise erschweren aber die teure Umstellung der Produktionsprozesse in der energieintensiven Stahl- und Chemieindustrie: Ohne eine schnelle Skalierung der grünen Wasserstoffproduktion – auch durch massive staatliche Beihilfe – kann die zu erwartende positive Kostenentwicklung von Elektrolyseuren, also jenen Geräten die Wasserstoff erzeugen, geschmälert werden. Gegebenenfalls müsste die Bundesregierung auch einen technologieoffeneren Ansatz verfolgen, der nicht nur auf grünen Wasserstoff setzt. Im Falle von aus Erdgas erzeugtem Wasserstoff wäre allerdings die Frage nach der Diversifizierung der Lieferquellen genauso akut wie beim Erdgasimport. Der für die Wasserstoffproduktion enorme und kaum durch heimische Produktion zu deckende Bedarf an Wasserstoffmolekülen oder grünen Elektronen erfordert in jedem Fall die Sicherung von Importen, den Ausbau von einer diversifizierten Importinfrastruktur und neue internationale Energiepartnerschaften. Die außenpolitische Dimension von Wasserstoff muss daher noch stärker betont werden. Das sehr wahrscheinliche Wegfallen von Russland und der Ukraine als zwei mögliche Wasserstoffpartner in der unmittelbaren Nachbarschaft wird die Auswahl in der östlichen Nachbarschaft einschränken. Die Bedeutung von südlichen Partnern in Nordafrika und im Mittleren Osten wird zunehmen. Hier wird die Frage nach der Wahl der Technologiepfade, der Wasserstoffart und seiner Derivate sowie des Transportes und der Logistik noch akuter.
Weitreichende ImplikationenDer Ukrainekrieg zwingt Deutschland, die Prioritäten im energiepolitischen Dreieck Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit mittel- bis langfristig neu auszutarieren. Mit Blick auf Versorgungsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit muss die Bundesregierung bereits jetzt folgende drei langfristige Implikationen ihrer Entscheidungen mitberücksichtigen:
Geopolitisch gewinnt die Energietransformation zwangsläufig an Bedeutung, nicht nur mit Bezug auf Russland: Technopolitischer und regulatorischer Wettbewerb mit den USA und China, Sicherung von kritischen Rohstoffen und Lieferketten, neue Abhängigkeiten, Schaffung von Resilienz und Sicherung des industriellen Standortes müssen stärker mitgedacht werden. Die Energietransformation kann nicht mehr nur aus klimapolitischer Perspektive betrachtet werden.
Geoökonomisch bedeutet eine Entkoppelung von Russland eine mittel- bis langfristige Zunahme der deutschen Abhängigkeit von Häfen und maritimen Energiehandel sowie vom volatilen globalen Gasmarkt. Gegenwärtig stellt die Zunahme von Protektionismus und Merkantilismus sowie der Wettbewerb mit China einen Stresstest für die deutsche Wirtschaft dar. Das vorzeitige oder gar abrupte Ende von stabilen und relativ günstigen erd- beziehungsweise leitungsgebundenen Energielieferungen wird zu einem zusätzlichen Unsicherheitsfaktor. Auch die relativ günstige Umrüstung bestehender Pipelineinfrastruktur für den Wasserstofftransport aus Osteuropa und Russland wird politisch wie ökonomisch auf absehbarer Zeit schwer realisierbar sein.
Schließlich wird geostrategisch eine perspektivische Entkoppelung Deutschlands vom kontinentalen Energiehandel mit Russland zweierlei Folgen haben. Zum einen wird aufgrund der russischen infrastrukturellen und regulatorischen Dominanz in Eurasien die Diversifizierung der Energiepartnerschaften in dem Raum erschwert. Zum anderen ist auf längerer Sicht eine weitere Kontinentalisierung russischer Energieexporte Richtung Asien und China absehbar, wenngleich kurzfristig schwer realisierbar. Somit könnte die russisch-chinesische Beziehung abermals gestärkt werden.