Minimal discussion of foreign policy during the US presidential campaign has left President-elect Joe Biden pinned to very few specific foreign policy positions and given him great flexibility in carrying out his program. He would probably prefer to avoid confrontation with Turkey; in fact, he will likely explore areas of potential US‑Turkish cooperation, especially against Russia. However, Biden’s core positions on human rights and rule of law, his long-time focus on Aegean and Eastern Mediterranean issues, and his seeming inclination to continue to fight ISIS in cooperation with the Syrian-Kurdish People’s Protection Units (YPG) militia – deemed “terrorists” by Ankara – probably augur deepening difficulties in US-Turkish ties. Down the line, a make-or-break decision on the future of US-Turkish ties will likely hinge on the Biden Administration’s assessment of Turkish-Russian relations. Europe may have an important say on Biden’s Turkish policy; a senior Biden adviser has said the new president will coordinate his approach to Turkey with the European Union.
Unter der Trump-Administration hat sich die Erosion der Rüstungskontrolle beschleunigt. Die USA haben sich aus dem Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA), dem bilateralen Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen (INF) und aus dem multilateralen OpenSkies-Vertrag zurückgezogen. Trump zögert auch, den New-START-Vertrag über die Begrenzung strategischer Systeme und Atomwaffen zu verlängern.
Aus Sorge um die weitere Erosion der strategischen Stabilität hat sich sein Nachfolger Biden dazu bekannt, den New-START-Vertrag um fünf Jahre zu verlängern. Dafür bleiben ihm nach seinem Amtsantritt zwar nur zwei Wochen, bevor der Vertrag außer Kraft tritt. Die Verlängerung bedarf aber keiner weiteren Ratifikation durch den US-Senat. Auch Russland steht einer Verlängerung positiv gegenüber.
Bei der Verhandlung eines Nachfolgevertrags ist Bidens Handlungsspielraum begrenzt. Zur Ratifikation braucht er eine Zweidrittelmehrheit im Senat. Angesichts parteiübergreifender Interessen dürften ihm Kompromisse aber nicht schwerfallen. Dabei geht es nicht nur um Russland. Wie Trump wird auch er den aufstrebenden Rivalen China auffordern, sein Atomarsenal der Rüstungskontrolle zu unterwerfen.
Große militärische Risiken resultieren auch aus der Lage in Europa. Dies betrifft nicht nur die Konfliktgebiete in der Ukraine und in Berg-Karabach. Die Beziehungen zwischen der Nato und Russland haben ihren tiefsten Punkt seit dem Ende des Kalten Krieges erreicht. Vor allem in der Ostseeregion, im Schwarzmeerraum und im Hohen Norden haben sich ihre militärischen Aktivitäten seit 2014 vervielfacht. Ihre Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge treffen heute manchmal gefährlich nah aufeinander, ihre Bodentruppen stehen sich im Baltikum gegenüber.
Gleichzeitig erodiert die Architektur der Rüstungskontrolle und Vertrauensbildenden Vereinbarungen, die am Ende des Kalten Krieges erarbeitet wurde. Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), sein Anpassungsabkommen und das Wiener Dokument zur militärischen Vertrauensbildung zwischen OSZE-Mitgliedstaaten haben entweder ihre Relevanz verloren oder sind unzureichend, um die heutigen militärischen Risiken einzuhegen. Zudem kommunizieren die Nato und Russland nicht miteinander wie sie sollten. Es besteht die Gefahr, dass ein militärischer Zwischenfall oder eine Fehleinschätzung zu einem unbeabsichtigten bewaffneten Konflikt führen könnten. Da keine Seite dies will, sollten sie kooperieren, um das Risiko einer Konfrontation zu senken.
Konfliktprävention durch Dialog und KooperationZu diesem Zweck wären folgende konkrete Schritte zu erwägen:
(1) Die Nato und Russland sollten den militärischen Dialog der höchsten Kommandoebenen und den regelmäßigen fachlichen Austausch der Sicherheitsexperten wiederaufnehmen, um die jeweiligen Aktivitäten und Doktrinen besser zu verstehen und Fehldeutungen zu vermeiden.
(2) Bisherige Vereinbarungen zur Verhinderung gefährlicher militärischer Aktivitäten sollten ergänzt und aktualisiert werden. Einheiten, die in Grenznähe operieren, müssen mit besonderer Vorsicht agieren. Ständige Verbindungen zwischen beiden Seiten sollten für den Fall eingerichtet werden, dass militärische Bewegungen einer Seite der anderen bedrohlich erscheinen.
(3) Das Wiener Dokument sollte modifiziert werden, um die Transparenz militärischer Übungen zu steigern. Alle beteiligten Truppen müssen in vollem Umfang erfasst und die Schwellenwerte für ihre Notifizierung und Beobachtung gesenkt werden.
(4) »Stille« Vorausinformationen wären geeignet, um Fehldeutungen russischer Alarmübungen zu vermeiden. Sie wären nur an die höchsten militärischen Befehlshaber zu richten, ohne dass die involvierten Truppen vorab gewarnt werden. Auch die Nato könnte Russland vertraulich über unangekündigte Bewegungen multinationaler Verbände informieren.
(5) Für die Nato-Russland Berührungszonen sollten regionale Stabilisierungsmaßnahmen vereinbart werden. Dazu sind beiderseitige Begrenzungen einer weiteren permanenten Stationierung substantieller Kampftruppen geeignet, die schon die Nato-Russland-Grundakte von 1997 vorsieht. Was das bedeutet, muss konkretisiert werden. Eine Einigung auf eine Heeresbrigade und eine Kampfflugzeuggruppe pro Land oder Militärbezirk wäre angemessen.
(6) Größere militärische Bewegungen und Übungen, die in diesen Zonen stattfinden, sollten strikten Informations- und Verifikationsregimen unterworfen werden. Allerdings muss die legitime individuelle und kollektive Verteidigung gewährleistet bleiben und eine Isolierung einzelner Regionen oder Länder vermieden werden.
(7) Der Vertrag über den Offenen Himmel erhöht die Transparenz durch kooperative Beobachtungflüge und schafft gerade in der Krise ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Vertrauen. Durch den Rückzug der USA wurde er geschwächt. Russland und andere europäische Vertragsstaaten sollten an ihm festhalten.
(8) Auch bei der Stationierung und Bewegung neuerer Waffensysteme in Europa sollten sich die Nato und Russland Transparenz und Zurückhaltung zusichern. Dies gilt vor allem für land-, see- oder luftgestützte Marschflugkörper und weitreichende Kampfdrohnen.
(9) Zudem sollten beide Seiten die Gespräche über die Raketenabwehr wiederaufnehmen. Sie könnten jährliche Informationsaustausche über derzeitige und geplante Abwehrsysteme in Europa erwägen, um Transparenz und Vertrauen zu stärken.
Diese Vorschläge zielen nicht darauf ab, dass die Allianz gegenüber Russland zur Tagesordnung zurückkehrt, ohne dass die fundamentalen politischen Probleme gelöst werden, die beide Seiten trennen. Sie dienen vielmehr dazu, eine Eskalation zu vermeiden und die Sicherheit in Europa zu stärken. Werden sie realisiert, so können sie allerdings dazu beitragen, eine positivere Atmosphäre zu schaffen, in der auch die tieferliegenden Ursachen der europäischen Sicherheitskrise erörtert werden können.
Um eine weitere Eskalation der politischen und militärischen Spannungen zwischen der Nato und Russland zu verhindern, hat eine Gruppe von 40 hochrangigen Militär- und Sicherheitsexperten aus Europa, Russland und den USA Empfehlungen formuliert. Viele der US-Teilnehmer stehen dem Biden-Team nahe. Die Empfehlungen werden von mehr als 140 Sicherheitsfachleuten unterstützt, unter ihnen 16 frühere Außen- und Verteidigungsminister sowie mehr als 50 Generäle, Admirale und hochrangige Diplomaten außer Dienst. Der Autor hat daran mitgearbeitet.
World media have hailed the victory of Maia Sandu in the Moldovan presidential elections on 15 November. They celebrated it as a triumph of democracy and pro-Western preferences over post-Soviet cronyism, authoritarianism and Russian apologists. The reality is more complex while there are few reasons for optimism. Sandu’s victory is a fragile one as the conditions that delivered it were temporary only. However, she may have unwittingly discovered how to attract voters who traditionally preferred Russia-backed candidates. The EU would benefit by learning from this accidental solution, which is of value regionwide, and deriving from it a thought-out strategy to more effectively support and protect genuine democratic transformation in Moldova and the post-Soviet area.
In den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich (VK) über ihre zukünftigen Beziehungen ist der große Durchbruch bisher ausgeblieben. Bei Nichteinigung droht zum Ende des Jahres 2020 der »No (trade) deal Brexit«. Wirtschaftlich wird in diesem Fall mit massiven Einschnitten gerechnet, die politischen Folgen sind noch schwerer kalkulierbar. Mit dem ungeregelten Ende der Übergangszeit würden die Beziehungen zwischen der EU und der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas nicht enden, sondern in eine neue Verhandlungsphase eintreten. Zwischen Blame Game, wirtschaftlichen Interessen und der Durchsetzung der eigenen Glaubwürdigkeit sollte die EU Maßnahmen vorbereiten, damit London an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie erleben einige illegale Geschäftsfelder wie etwa der Handel mit gefälschten Medizinprodukten eine Hochkonjunktur. Andere typische Einkommensquellen der Organisierten Kriminalität (OK) brachen aufgrund von Lockdowns, Reisebeschränkungen und Grenzschließungen kurzzeitig eher ein. Mit den stetigen Veränderungen der Infektionslage und einer zunehmenden Fragmentierung der Gegenmaßnahmen ist die Lage auch für kriminelle Akteure unübersichtlicher geworden. Was die OK mittelfristig beeinflussen kann, sind vor allem die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen der Pandemie. Neben Verschiebungen auf illegalen (Drogen-)Märkten könnten sich das Potential für kriminelle Ausbeutung in der Folge der Gesundheitskrise erhöhen und der Einfluss krimineller Gruppen auf Staat und Gesellschaft verstärken. Teilweise sind diese Entwicklungen bereits sichtbar. Die damit einhergehenden Risiken bedürfen erhöhter Aufmerksamkeit durch politische Entscheidungsträger und Strafverfolgungsbehörden und einer gezielteren internationalen Zusammenarbeit.
The global political situation in Europe’s neighbourhood has deteriorated dramatically in recent years, and this has had significant consequences for the European Union (EU). Conflicts are multiplying in Eastern Europe and in the Mediterranean Sea; Russia and China are showing increasingly expansive tendencies in South Eastern Europe; and the USA is becoming less and less reliable as a security provider for Europe. Against this background, it is striking that the Common Foreign and Security Policy (CFSP) still falls far short of what would be expected from the EU given the size of its internal market. The unanimity principle in the Council of the EU is often blamed for this. However, an analysis of CFSP data shows that the Member States are clearly satisfied with symbolic policy measures, despite their political rhetoric. This situation will not be resolved either by introducing simple majority voting or with mere declarations of political will from governments. The dialogue on the future of Europe should be seen as an opportunity to remedy the inability to act in the field of foreign policy by harmonising the CFSP.
Europa sollte dem französischen Präsidenten und der deutschen Verteidigungsministerin dankbar sein. Sie haben die beiden möglichen Entwicklungspfade der europäischen Sicherheitspolitik scharf im Ton, aber klar in der Sache benannt. In einem von dem Magazin »Politico« Anfang November veröffentlichten Gastbeitrag nannte Annegret Kramp-Karrenbauer die Idee einer strategischen Autonomie Europas eine »Illusion«. Emmanuel Macron konterte im Gespräch mit der Zeitschrift »Le Grand Continent« spitz, dass die Aussage der Verteidigungsministerin eine »Fehlinterpretation der Geschichte« sei. Diese legte in ihrer zweiten Grundsatzrede noch einmal nach: Der wichtigste Verbündete Deutschlands und Europas blieben die USA. Ohne die nuklearen und konventionellen Fähigkeiten Amerikas könnten sich Deutschland und Europa nicht schützen. Aus diesen »nüchternen Fakten« müssten sich die Schlussfolgerungen für die EU ableiten.
Der heftige Dissens überrascht, hatten doch die vergangenen vier Jahre den Eindruck erweckt, dass sich deutsche und französische Vorstellungen im Bereich der Sicherheitspolitik angenähert hätten. Da mit dem scheidenden US-Präsidenten Donald Trump eine Zusammenarbeit weitgehend unmöglich war, zogen Berlin und Paris daraus scheinbar den gleichen Schluss: Europa könne sich nicht länger auf Washington verlassen, sondern müsse sich auf seine eigenen Stärken besinnen und sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Paris und Berlin verliehen ihrer sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit eine frische Dynamik und gaben der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU endlich so etwas wie Schwung. Die ambitionierten militärischen Fähigkeiten, die beide Länder gemeinsam entwickeln und beschaffen wollen – allen voran das Kampfflugzeug FCAS und der Kampfpanzer MGCS –, sollen dazu beitragen, dass die EU auch im Bereich der Sicherheit und Verteidigung ein global handlungsfähiger Akteur wird. Im Vertrag von Aachen verpflichteten sich Deutschland und Frankreich 2019 zudem, auf »eine Stärkung der Fähigkeit Europas« hinzuwirken, »eigenständig zu handeln«.
Keine Sicherheitspolitik ohne die USAKaum ist Präsident Trump abgewählt und ein Politikwechsel in den USA erkennbar, wird deutlich, dass Paris und Berlin dem gemeinsamen Ruf nach größerer europäischer Handlungsfähigkeit und strategischer Autonomie unterschiedliche Motive zugrunde gelegt und sehr verschiedene Einsatzszenarien damit verbunden haben. Frankreichs Engagement zugunsten verbesserter militärischer Fähigkeiten seiner EU-Partner ging nicht zuletzt mit der Hoffnung einher, diese würden die französischen Streitkräfte entlasten. Denn seit den Terroranschlägen in Paris 2015 führt das Land einen »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«, zum Beispiel im Nahen Osten, in der Sahel-Zone und in Frankreich selbst. Unterstützung erhoffte sich Paris dabei auch und gerade von seinen europäischen Verbündeten.
Berlin hingegen sah vermehrte Kraftanstrengungen zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der EU-Staaten vor allem als Vehikel, die amerikanische Kritik an der vermeintlich unfairen Lastenteilung in den transatlantischen Sicherheitsbeziehungen zu entschärfen. Europäischer werden, um transatlantisch bleiben zu können, war hier das handlungsleitende Paradigma. Dies ist in Paris nicht immer ausreichend verstanden worden. Die GSVP betrachtet die Bundesregierung daneben primär als politisches Projekt, um den Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten zu stärken und dem Integrationsprozess neue Impulse zu verleihen. Konkrete Einsatzszenarien sind in der deutschen Debatte eher blass geblieben und fokussierten vage auf das Krisenmanagement in der europäischen Nachbarschaft. Vor allem aber hat die Bundesregierung trotz der Fragezeichen hinter den amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa während der Amtszeit von Trump die EU niemals ernsthaft als alternative Sicherheitsstruktur für die Landes- und Bündnisverteidigung betrachtet. Diese »atlantische Festlegung« hat angesichts der nicht existierenden Alternative, die die Verteidigungsministerin noch einmal in Erinnerung gerufen hat, auch die vergangenen vier Jahre überdauert. Entsprechend fielen die Avancen von Präsident Macron im Februar 2020 in Berlin auf taube Ohren, das französische Nukleararsenal in eine gemeinsame europäische Verteidigungsstrategie einzubinden und die europäischen Partner an entsprechenden französischen Militärübungen zu beteiligen.
Ein gemeinsames Verständnis von europäischer SouveränitätUm die GSVP in die sich durch die Präsidentschaft von Joseph Biden verändernde euro-atlantische Sicherheitsstruktur einzupassen, muss in den kommenden Wochen nicht nur eine neue transatlantische Agenda im sicherheitspolitischen Bereich formuliert werden. Vielmehr bedarf es auch einer deutsch-französischen Verständigung über die Reichweite der strategischen Autonomie und der für sie notwendigen Schritte. Dieser Konsens sollte auf drei Grundprinzipien gründen:
Erstens dem gemeinsamen Bekenntnis, dass das Primat für die multilaterale Bündnis- und Landesverteidigung im euro-atlantischen Raum auch in Zukunft bei der NATO liegt. Selbst vier Jahre Trumpscher Außenpolitik haben nicht als Auslöser genügt, damit sich die EU militärisch oder politisch wirklich in Richtung strategische Autonomie bewegt hätte. Unter einer US-Administration, die Bündnisse wieder schätzen wird, ist dies noch weniger zu erwarten; zweitens, einer ebenso klaren Verpflichtung beider Seiten zum eigenständigen militärischen Krisenmanagement der EU in der Nachbarschaft Europas sowie der Bereitschaft, sich daran aktiv zu beteiligen. Denn die Peripherie des Kontinents gestalten mittlerweile rivalisierende Großmächte, die eigene geopolitische Ordnungsvorstellungen verfolgen – Krisen und Konflikte wie in Syrien und Libyen sind die Folge; und schließlich drittens einem Bekenntnis zu weiter vertiefter militärischer Integration in der EU und der damit verbundenen Notwendigkeit, nationale Souveränitätsrechte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an Brüssel abzugeben. Gerade der letzte Schritt fällt weder Berlin noch Paris leicht, denn eine souveräne EU kann nur auf Kosten der Souveränität ihrer Mitglieder entstehen. Der Streit der vergangenen Tage hat illustriert, dass sich beide Seiten diesbezüglich zu lange mit Sonntagsreden und Scheingewissheiten begnügt haben.
Dieser Text ist auch bei euractiv.de erschienen.
Russia has adopted a development strategy for the Arctic for the period from October 2020 to 2035. Reflecting hopes and perceived threats associated with the successive warming of the Arctic, it aims to advance development of the region’s abundant resources, first and foremost oil and gas, and improve living conditions for the population. In the longer term, the Kremlin hopes to establish the Northern Sea Route as a new global shipping artery. Moscow also worries that an increasingly ice-free Arctic could create new territorial vulnerabilities in its Far North, and is responding by rebuilding its military presence there. Finally, Moscow also wants to preserve the region’s ecological balance. The indications are, however, that the interests of the energy sector and the military will be served, while funding to improve environmental protections and living conditions will remain inadequate.
The Law of the People’s Republic of China on Safeguarding National Security in the Hong Kong Special Administrative Region (Security Law) highlights the shortcomings of the 1984 Sino-British Joint Declaration and the inherent conflicts of the “one country, two systems” principle. The arrangement has always been full of contradictions and grey areas. With the Security Law, the Chinese leadership has created facts on the ground. The move comes at the expense of civil liberties and accelerates the spread of socialist legal concepts in Hong Kong. But, on this issue, Beijing is not isolated internationally. On the contrary, it is supported by economically dependent states in its assessment of the Security Law as an internal affair. China’s ambition to gain international discourse power in legal matters is strategically embedded in the Belt and Road Initiative (BRI). Beijing’s course of action in Hong Kong serves as a test balloon in this endeavour. Decision-makers in Germany and Europe are still not sufficiently aware of the problems concerning Chinese legal concepts. More expertise is urgently needed.
On 8 November Luis Arce and David Choquehuanca took office as the new president and vice-president of Bolivia, respectively. Less than a month earlier, they had won the elections in the first round with more than 55 per cent of the vote. Thus, the Movement towards Socialism (Movimiento al Socialismo or MAS) was returned to power and obtained an absolute majority in the parliament after a one-year interregnum following the fraudulent ballot in 2019. This outcome can be attributed not only to the desire of the people for economic and political stability as well as social peace but also to the poor performance of the transitional government of Jeanine Áñez and the opposition’s fragmentation and polarizing campaign. The dethronement of Evo Morales and the current adverse conditions – not least Covid-19 – are among those factors that will make it impossible for the MAS to conduct business as usual.
Die Islamische Republik Iran hat unter dem Sanktionsdruck der Trump-Administration den »Osten« zur außenpolitischen Priorität erklärt. Im Rahmen einer neuen »Blick-nach-Osten«-Politik sollten die Beziehungen zu asiatischen und eurasischen Großmächten wie Russland, China oder Indien vertieft werden.
An seiner Ostorientierung wird Iran auch unter dem US-Präsidenten Joe Biden festhalten, denn die außenpolitische Schwerpunktverlagerung reicht über kurzfristige Wirtschaftsinteressen hinaus. Teheran sieht in östlichen Partnern das größte Potential, um vom Westen unabhängige Ordnungsstrukturen zu schaffen.
Mittelfristig setzt die Islamische Republik auf eine multipolare Ordnung, in der Regionalmächten eine höhere politische Bedeutung zukommt. Langfristig schwebt Teheran die Vision einer einheitlichen islamischen Gemeinschaft und einer Sphäre islamischer Souveränität vor.
Vor diesem Hintergrund begrüßt die Islamische Republik bedeutende geopolitische Großprojekte in Eurasien, in denen Iran eine zentrale Rolle einnimmt.
Teherans »Blick nach Osten«-Politik geht aber auch mit Kosten einher und stößt vor allem sicherheitspolitisch an enge Grenzen. Noch zeichnen sich keine strategischen Partnerschaften ab, die sich in einer belastbaren Bündnispolitik widerspiegeln würden.
Dennoch müssen sich Deutschland und die EU darauf einstellen, dass der Einfluss eurasischer und asiatischer Akteure, insbesondere Pekings, in Iran steigen wird. Dabei stehen Teherans Beziehungen zu diesen Staaten nicht unter dem Vorbehalt, Menschenrechtsfragen oder die iranische Regionalpolitik zu diskutieren.
Irans Orientierung nach Osten stellt aber noch keine Abkehr vom »Westen« dar. Mit der Umsetzung der »Blick nach Osten«-Politik könnte die Bedeutung Deutschlands und Europas sogar noch zunehmen.
The Covid-19 pandemic has moved relations with Sub-Saharan Africa further up the Maghreb countries’ agenda and consolidated existing trends. Morocco is the Maghreb state with the most sophisticated Sub-Sahara policy. Its motivations include attractive growth markets in Africa, frustration over restricted access to Europe, stalemated integration in the Maghreb and the wish to see the Western Sahara recognised as Moroccan. Morocco’s Sub-Sahara policy has heightened tensions with Algeria and awakened ambitions in Tunisia. Algiers, as a significant funder and security actor in the African Union (AU) and “protector” of the Western Sahara independence movement, is seeking to thwart Rabat’s advances. Tunis for its part is trying to follow in Rabat’s footsteps, hoping that closer relations with Africa will boost economic growth. The European Union should treat these trends as an opportunity for African integration and triangular EU/Maghreb/Sub-Sahara cooperation. This could counteract Algeria’s feeling of growing irrelevance, strengthen Tunisia’s economy, put Morocco’s hegemonic ambitions in perspective, and thus mitigate the negative dynamics of the rivalry.
By siding with Azerbaijan in the conflict over Nagorno-Karabakh, Turkey is primarily pursuing the goal of undermining the current status quo of the region. Ankara aims above all to secure a place at the table where a solution to the conflict between Armenia and Azerbaijan will be negotiated in the future. The Syrian scenario should serve as an example. Turkey thus wants to negotiate with Russia in the South Caucasus, preferably without Western actors. Ankara’s plans are not uninteresting for Moscow. However, because of the complexity of Turkish-Armenian relations, there is a risk that Armenia and Turkey might become the eventual opponents in this conflict, rather than Armenia and Azerbaijan. The EU’s engagement should not be determined by its tense relationship with Turkey, but rather by the UN Security Council resolutions on Nagorno-Karabakh.
Die von Aung San Suu Kyi geführte Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) hat die Parlamentswahl in Myanmar am 8. November klar gewonnen. Sie hat mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten und bildet nun fünf weitere Jahre die Regierung. Dass Aung San Suu Kyi wegen ihre Rolle im Rohingya-Konflikt international an Ansehen verloren hat, scheint ihrer Beliebtheit in der Heimat keinen Abbruch zu tun. Wahlbeobachter kritisierten allerdings im Vorfeld, dass Minderheiten von der Wahl abgehalten wurden. Die Wahlkommission (UEC) hatte den Urnengang mit Verweis auf andauernde Konflikte und steigende Infektionszahlen in einigen mehrheitlich von ethnischen Minderheiten bewohnten Regionen wie Rakhine, Kachin und Shan abgesagt: Von den etwa 37 Millionen Wahlberechtigten durften mehr als 1,4 Millionen ihre Stimme nicht abgeben – und die Rohingya waren ohnehin nicht wahlberechtigt.
Dabei war der Wahlsieg der NLD bei den ersten freien Wahlen 2015 von Beobachtern noch als Beginn einer umfassenden Demokratisierung des Landes gedeutet worden. Denn Aung San Suu Kyi, oftmals als »Nelson Mandela« Myanmars bezeichnet, galt in Europa weithin als Verfechterin von Demokratie und Menschenrechten. Aber bereits kurze Zeit später bekam das Image der Friedensnobelpreisträgerin Risse: Während der Friedensprozess mit den ethnischen Minderheiten stockte und sich stellenweise gar verschlechterte, wurden verstärkt autoritäre Gesetze aus der Zeit der Militärdiktatur angewandt. Dabei wurden Journalisten unter anderem davon abgehalten, über Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Rohingya durch das Militär zu berichten. Die UN sprach in diesem Kontext gar von einem »Genozid« an der Volksgruppe. Gegen die Regierung des Landes wurde ein Verfahren am Internationalen Gerichtshof in Den Haag eröffnet.
Gleichzeitig wuchs in einem Großteil des Landes die Zustimmung für Aung San Suu Kyi. Der erneute Erdrutschsieg, demzufolge die NLD ihre Parlamentsmehrheit sogar weiter ausbauen konnte, ist Zeugnis dessen. Dies ist bemerkenswert im Kontext einer globalen Pandemie mit für Myanmar sowohl gesundheitspolitisch wie wirtschaftlich negativen Folgen. Mittlerweile ist das Land zu einem der Pandemie-Hotspots Südostasiens geworden, insbesondere ärmere Bevölkerungsschichten leiden unter den Schließungen von Geschäften und Unternehmen. Mehr noch, das Gesundheitssystem war bereits vor Covid-19 äußerst marode und schon vor der Pandemie lebten nach offiziellen Angaben 25 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Angst vor Militärdiktatur überschattete Covid-19 und sinkendes WirtschaftswachstumDie erste Regierungszeit der NLD ist anhand von Indikatoren wie Armutsrate, Wirtschaftswachstum oder Demokratisierung als eher durchwachsen zu bewerten. Allerdings spielten diese Indikatoren für die Wähler eher eine untergeordnete Rolle. Das zentrale Thema im Wahlkampf war auch nicht Covid-19, die schwächelnde Wirtschaft oder gar die Situation ethnischer Minderheiten. Bestimmendes Thema war die Beschränkung der Macht des Militärs. Die Dekaden der Militärherrschaft sind im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung leidlich präsent. Im direkten Vergleich dazu brachte die NLD-Regierung, trotz aller Kritik, eine deutliche Verbesserung der Lage. Ängste vor einem Rückfall in die Diktatur schürten kurz vor der Wahl die Streitkräfte selbst, als sich Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing mit scharfer Kritik an der Wahlkommission in die politische Debatte einschaltete und das Militär anschließend in einem Statement andeutete, den Präsidenten U Win Myint abzusetzen. Nach wie vor verfügt das Militär im Rahmen der geltenden, noch unter der Militärdiktatur verabschiedeten Verfassung über umfangreichen politischen Einfluss. So sind 25 Prozent der Parlamentssitze für das Militär reserviert. Es verfügt damit über eine Sperrminorität bei Verfassungsänderungen und hat von dieser bereits Gebrauch gemacht.
Von Partner zu Paria – wie weiter?Mit der Wiederwahl der NLD verbinden viele die Hoffnung, dass nunmehr eine Reform der Verfassung und damit verbunden eine Depolitisierung der Streitkräfte umgesetzt werden kann. Während also im Inland hoffnungsvoll auf die wiedergewählte Regierung geschaut wird, hält die Eiszeit in den Beziehungen zur EU an. Viele Projekte europäischer Staaten in Myanmar sind derzeit eingefroren, entsprechende Gelder fließen nicht und Dialogforen mit der NLD liegen brach. Die infolge der Rohingya-Krise verhängten Sanktionen der EU wurden um ein weiteres Jahr verlängert. Gleichzeitig zeigt sich, dass Aung San Suu Kyi bisher nicht auf internationale Kritik und Druck reagiert. Im Gegenteil: Sie nutzte die Gerichtsverhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof zu Genozid-Vorwürfen, um die »Ehre der Nation« gegen eine ausländische Verschwörung zu verteidigen und so innenpolitisch zu punkten. Angesichts der Wahlergebnisse dürfte sich an diesem Vorgehen wenig ändern, zeigen sie doch, wie sehr Aung San Suu Kyi sowohl die NLD als auch die Innen- und Außenpolitik dominiert. Und so ist davon auszugehen, dass sich die Beziehungen Europas zu Myanmar auch in den nächsten Jahren schwierig gestalten dürften.
Europa sollte daher seine Politik mittelfristiger auf die Post-Aung-San-Suu-Kyi-Ära ausrichten, um Anknüpfungspunkte für demokratische Reformen zu finden. Hierbei empfiehlt es sich zum einen, angesichts der Zentralisierung der Macht in den Händen Aung San Suu Kyis und ihres fortgeschrittenen Alters, auf jüngere Parteikader zuzugehen. Einige Jungpolitiker der NLD sowie anderer Jugendorganisationen äußerten sich während des Wahlkampfs bereits kritisch zur Politik der etablierten Kader. Zum anderen lohnt es, Kontakte außerhalb der NLD zu knüpfen: In ihr sammelt sich vornehmlich die größte Bevölkerungsgruppe der Bamar (auch Birmanen genannt), doch die ethnischen Minderheiten des Landes kritisieren den Führungsstil und die Politik Aung San Suu Kyis zunehmend.
Nur fünf Tage dauerte die Amtszeit des peruanischen Interimspräsidenten Manuel Merino, bis er auf Druck der protestierenden Bevölkerung nach einem völlig überzogenen Polizeieinsatz mit vielen Verletzten, Verschwundenen und Toten seinen Rücktritt erklärte. 13 seiner 18 Minister hatten bereits vorher ihr Amt zurückgegeben. Nach der fragwürdigen Absetzung des in der Bevölkerung beliebten Präsidenten Martín Vizcarra wegen »permanenter moralischer Unfähigkeit« durch das Parlament vertieft sich die Verfassungskrise im Andenstaat, die zugleich auch eine politische Krise ist.
Systemische InstabilitätSeit 1985 sind oder waren alle peruanischen Präsidenten völlig unterschiedlicher politischer Orientierung wegen Korruptionsvorwürfen entweder im Gefängnis (Alberto Fujimori und Ollanta Humala), in Auslieferungshaft (Alejandro Toledo) oder stehen unter Hausarrest (Pedro Pablo Kuczynski). Ex-Präsident Alan Garcia hatte sich erschossen, bevor die Polizei ihn festnehmen konnte. Die Vorwürfe wegen Korruption erreichten auch den im Jahre 2016 gewählten Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski; er musste nach zwei Jahren vom Amt zurückgetreten, um seiner Amtsenthebung zuvorzukommen. Verfassungsgemäß wurde am 23. März 2018 daraufhin sein Vize-Präsident Martín Vizcarra als Staatspräsident vereidigt. Schon bald darauf eskalierte dessen Auseinandersetzung mit dem Kongress über die Wahl von Richtern für das peruanische Verfassungsgericht; ein Konflikt, der bis heute anhält – geht es dabei doch um die Frage, wie mit den Korruptionsverfahren gegen 68 der 130 Parlamentarier und ihre teilweise einsitzenden Parteivorsitzenden umgegangen werden soll. Sie hoffen im Zuge der Wahl von Gefolgsleuten in das Oberste Gericht auf Begnadigungsverfahren oder die Niederschlagung der Klagen. Vizcarra löste daraufhin im September 2019 das Parlament auf und rief Neuwahlen aus. Im Gegenzug suspendierte das Parlament den Präsidenten vorläufig und setzte die zweite Vize-Präsidentin ins Amt ein, die jedoch schon nach einem Tag von ihrem Amt zurücktrat. Schlieβlich einigte man sich auf die Durchführung von Parlamentsneuwahlen am 20. Januar 2020, die mit zehn Parteien im Kongress eine weitere politische Zersplitterung und keine den Präsidenten stützende Mehrheit erbrachte. Nach der Absetzung Vizcarras am 9. November 2020 übernahm entsprechend Art. 115 der Verfassung Parlamentspräsident Manuel Merino das Amt, da keine vom Volk gewählten Vize-Präsidenten mehr verfügbar waren. Das Gericht muss nun darüber urteilen, ob die Amtsenthebung Vizcarras verfassungsgemäß war. Eine Wiedereinsetzung des ehemaligen Präsidenten ist eher unwahrscheinlich. Unterdessen hat der Kongress mit Francisco Sagasti einen neuen Parlamentspräsidenten gekürt, der jetzt ins Präsidentenamt nachrückt. Er soll als Übergangspräsident die Zeit bis zum Amtsantritt eines am 11. April 2021 vom Volk zu wählenden Präsidenten ausfüllen. Indes ist auch seine Unterstützung im Parlament sehr fragil, bei Kontroversen könnte seine Regierung schnell in Schwierigkeiten geraten. Anders als Vizcarra müsste sie den Rückhalt der Bevölkerung aber wohl erst durch ihr Handeln und die Auswahl der Regierungsmitglieder gewinnen.
Die aktuelle Krise betrifft nicht nur das schwierige Verhältnis zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Auch das Militär hat sich letztlich dem – nun zurückgetretenen – Interims-Präsident Merino verweigert: Zu einem Termin mit ihm erschienen die Generäle nicht und erklärten, ihre Rolle bestehe in der Verteidigung der Rechte des Volkes. Damit verschieben sich die Gewichte im Lande immer mehr – Perus Demokratie steht vor einer umfassenden Bewährungsprobe.
Massenproteste in Corona-ZeitenGemessen an der Bevölkerungszahl ist die Sterblichkeit wegen Covid-19 weltweit in keinem Flächenstaat so hoch wie in Peru. 89,99 Tote je 100.000 Einwohner verzeichnete das südamerikanische Land zuletzt, das trotz massiver Ausgangssperren bislang die Infektionszahlen nur in geringem Umfang drücken konnte. In dieser Konstellation hat sich eine Mobilisierungswelle insbesondere junger Peruanerinnen und Peruaner formiert, die sich gegen die Interessen der Parlamentsmehrheit artikuliert und für die von Ex-Präsident Vizcarra eingeleiteten Reformen kämpft. Dabei geht es um eine stärkere Kontrolle privater »Universitäten«, die weniger dem Bildungsbedarf als geschäftlichen Interessen dienen. Ebenso bleibt die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz auf der Tagesordnung. Zudem muss der weitere wirtschaftliche Niedergang des Landes gebremst und Vertrauen in die Wirtschaftskompetenz der Regierung hergestellt werden.
Die Kluft zwischen Parlament und Volk, Gesellschaft und Staat wird immer gröβer. Wie auch im Nachbarland Chile wähnt sich die politische Elite am Schalthebel uneingeschränkter Macht und vermag nicht zu erkennen, dass ihr das Heft des Handelns entgleitet. Peru steht nun vor der Frage, wie jenseits der akuten Krise auch die strukturelle Schwäche von Politik, politischen Parteien und Rechtsstaat überwunden werden kann. Die Vorwürfe von Korruption an Parlament und Regierung wiegen schwer, nun treten noch Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz und Verletzung der Menschenrechte hinzu.
Der Widerstand auf der Straβe war zunächst erfolgreich, Merino konnte sich nicht im Amt halten. Dazu hat das Beispiel der jungen Generation im Nachbarland Chile viel beigetragen, an dem sich die Bewegung orientiert und daher auch eine verfassungsgebende Versammlung nach chilenischem Vorbild fordert. Noch ist es angesichts der Überlastung des Gesundheitssystems in Peru sehr schwierig, solche Mobilisierungen dauerhaft zu organisieren, aber die Ränkespiele und Personalrochaden im Parlament stehen nunmehr unter starker zivilgesellschaftlicher Beobachtung. Das kann nur von Vorteil sein, wenn es darum geht, die Machtverschiebungen zwischen den verschiedenen Gewalten zu kontrollieren und das politische System neu zu begründen. Dies steht seit vielen Jahren aus und scheitert immer wieder an fragwürdigen kurzfristigen Koalitionen verschiedener Parteifaktionen im Parlament.
Die Zeit für einen erfolgreichen Abschluss der Brexit-Handelsverhandlungen wird immer knapper. Weniger als 50 Tage verbleiben noch, bis das Vereinigte Königreich am 31. Dezember 2020 die Übergangsphase und damit den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlässt. Ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen zwischen EU und Vereinigtem Königreich müsste bis dahin nicht nur ausgehandelt sein, sondern auch noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erhalten. Doch die bisher kürzeste Dauer für ein solches parlamentarisches Verfahren betrug 59 Tage – und selbst da lag der zu prüfende Vertragstext bereits seit Monaten vor.
Mittlerweile nähern sich die Verhandlungsführer im Hinblick auf einen gemeinsamen Rechtstext an. Die zentralen politischen Streitpunkte aber sind nach wie vor ungelöst: Regeln für faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte Level Playing Field –, die Kontrolle staatlicher Beihilfen, Fischerei und Mechanismen zur Durchsetzung des Abkommens. Hinzukommt das britische Vorhaben, seine Verpflichtungen aus dem Austrittsabkommen in Bezug auf Nordirland mit einem Gesetz zum britischen Binnenmarkt zu brechen – und damit eben jene zentrale Regelung auszuhebeln, auf die Boris Johnson sich 2019 eingelassen hatte, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland nach dem Brexit offen halten zu können. In den nächsten Tagen wird der britische Premier Johnson also die Entscheidungen treffen müssen, die die britische Regierung so lange vor sich hergeschoben hat: Ist das Vereinigte Königreich für einen Handelsvertrag mit seinem bei weitem wichtigsten Handelspartner EU zu regulativen Einschränkungen bereit? Oder versucht es, die absolute Handlungsfreiheit zu erlangen und nimmt dafür mit dem No-Deal-Brexit noch größere wirtschaftliche Konsequenzen in Kauf?
Joe Biden verändert die Brexit-Gleichung politischIn dieser kritischen Lage betritt nun mit dem designierten US-Präsidenten Joe Biden ein bekennender Multilateralist die Weltbühne. Auch in Bezug auf den Brexit könnte er sich nicht deutlicher vom jetzigen Amtsinhaber Donald Trump unterscheiden. Während Trump den Brexit unterstützt und dem Vereinigten Königreich ein Handelsabkommen – unter der Maßgabe »America-First!« – in Aussicht stellte, hat Biden den britischen EU-Ausstieg kritisiert. Die irische Diplomatie verzeichnete als großen Erfolg, dass der irisch-stämmige Joe Biden mitten im US-Wahlkampf mit Blick auf das Gesetz zum britischen Binnenmarkt öffentlich klarstellte, dass es mit ihm kein Freihandelsabkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich geben werde, sollte London das Karfreitagsabkommen und den Frieden in Nordirland gefährden. Seine große Unterstützung für den nordirischen Friedensprozess unterstrich Biden auch in seinem ersten Telefonat als designierter Präsident mit Boris Johnson. Obendrein bezog er neben Johnson, Macron und Merkel den irischen Premier Micheál Martin in seine europäische »Antrittstelefonate« ein.
Die Aussicht auf einen Präsidenten Biden im Weißen Haus ändert damit auch die politische Kalkulation in der Abwägung zwischen Deal- und No-Deal-Brexit für Boris Johnson. Denn ihm muss klar sein, dass er nunmehr den Bruch mit den Europäern und den Vereinigten Staaten in Kauf nimmt, wenn die Verhandlungen mit der EU scheitern und die Briten mit der Verabschiedung des Binnenmarktgesetzes explizit gegen seine Verpflichtungen zu Nordirland verstoßen. Statt »Global Britain« würde das Vereinigte Königreich damit gleich beide Säulen seiner Außenpolitik gefährden und sich selbst isolieren.
Wirtschaftlich ist Bidens Intervention weniger relevantGleichzeitig bleibt zu betonen, dass der ungleich größere Schaden nach dem No-Deal-Brexit für das Vereinigte Königreich im vollständigen Bruch mit der EU läge. Dies zeigt sich vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Bei einem No-Deal-Brexit verlöre das Vereinigte Königreich den bisher sehr guten Zugang zu seinem wichtigsten Absatzmarkt: Rund 46 Prozent der britischen Warenexporte gingen 2019 in die EU. In die USA gingen im selben Zeitraum 16,5 Prozent der Warenexporte. Käme es zu einem britisch-amerikanischen Freihandelsabkommen, rechnet selbst die britische Regierung nur mit einem Plus von maximal 0,36 Prozent des BIP. Bei einem No-Deal-Brexit hingegen rechnet sie langfristig mit Einbußen von 7,6 Prozent, bei einem Brexit mit Abkommen geht sie von minus 4,9 Prozent aus. Der Warnung Joe Bidens zum Trotz hätte ein Handelsabkommen mit den USA also nicht das Potential, die Verluste des Brexits mit oder ohne Abkommen wettzumachen.
Entscheidend bleiben die innenpolitischen AbwägungenRationale Argumente für eine Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gibt es genug: die hohen wirtschaftlichen Kosten, die zweite Covid-19-Welle mit korrespondierenden Lockdowns, die steigende Zustimmung in Schottland für die Unabhängigkeit und nun die Warnungen des designierten US-Präsidenten.
Und trotz allem bleiben innenpolitische Abwägungen für Boris Johnson entscheidend. Diese gestalten sich schwierig: Mit dem zweiten Lockdown ist Johnson innenpolitisch unter Druck geraten. Mitglieder in der Konservativen Partei äußern öffentlich Zweifel an seinen Führungsfähigkeiten, seinen Chefberater Dominic Cummings hat Johnson gerade vor die Tür gesetzt. Der harte Brexit-Flügel in seiner Partei drängt ihn dazu, an der harten Verhandlungsposition festzuhalten. Für einen Kompromiss mit der EU müsste Johnson sich erstmals diesen Brexiteers entgegenstellen – dabei ist es gerade der harte Brexit-Kurs, der die Tories zusammenhält. Doch während er bei einem No-Deal-Brexit alle negativen Konsequenzen auf die EU schieben könnte, müsste Johnson bei einer Einigung mit der EU die Verantwortung für die Brexit-Folgen übernehmen. Denn ein dünnes Handelsabkommen wäre zwar weniger katastrophal für die britische Wirtschaft als ein No-Deal-Brexit. Der Unterschied zum bisherigen vollen Binnenmarktzugang wäre aber immer noch groß.
Dieser Text ist auch bei euractiv.de erschienen.