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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 2 hours 15 min ago

Eine europäische Wirtschafts­politik im Werden

Fri, 28/08/2020 - 00:00

Obgleich die Wurzeln der Europäischen Union in der wirtschaftlichen Integration liegen, sind den wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten und Möglichkeiten der EU im europäischen Vertragsrecht enge Grenzen gesetzt. Dennoch ist der Einfluss der EU und insbesondere der Euro­päischen Kommission auf die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten deutlich sicht- und spürbar.

Der Schwerpunkt der europäischen Wirtschaftspolitik liegt auf der Ko­ordinierung der mitgliedstaatlichen Politiken durch die Europäische Kommission. Sie bedient sich dabei strategischer Steuerungsinstrumente wie Zehnjahres-Strategien, Leitlinien und Reformempfehlungen, die sie im Rahmen des Europäischen Semesters bündelt.

Die europäische Wirtschaftspolitik steht vor der Aufgabe, zum einen die akuten sozioökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie zu begrenzen und zum anderen Antworten auf die strukturellen Herausforderungen durch Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel zu finden. Eine gemeinschaftliche europäische Wirtschaftspolitik wird zusehends notwendiger, die daran geknüpften Erwartungen werden größer.

Die Europäische Kommission versucht, diese beiden Aufgaben – die An­kurbelung der europäischen Konjunktur und die nachhaltige Transformation der Volkswirtschaften – mit dem neuen europäischen Wiederaufbau-Fonds »Next Generation EU« zu verbinden. Der europäische Green Deal wird dabei zur Leitlinie sowohl der wirtschaftspolitischen Koordinierung als auch der Wirtschaftspolitik auf nationaler Ebene.

Diese Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik auf nachhaltiges und dekarbonisiertes Wachstum wird die Europäisierung und langfris­tig die Unitarisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken vorantreiben.

Fundamentale Mängel im US-Wahlsystem

Tue, 18/08/2020 - 00:00

Donald Trump blockiert die Aufstockung der Mittel für die Post, nicht zuletzt, um eine reibungslose Abwicklung von Briefwahlen zu erschweren. Er argumentiert mit der – nicht belegten – Gefahr des Wahlbetrugs. Dahinter steht aber wohl seine Befürchtung, dass Briefwahlen vor allem den Demokraten in die Hände spielen. Was ist dran an dieser Befürchtung?

Johannes Thimm: In der Vergangenheit war es so, dass eher demokratische Wähler von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch gemacht haben. Angesichts von Covid-19 dürften dieses Jahr aber mehr Menschen per Brief abstimmen wollen als bisher. Gerade ältere Wähler, die zur Risikogruppe gehören und tendenziell eher republikanisch wählen, könnten durchaus davon profitieren. Angesichts schlechter Umfragewerte dürfte es Trump mit seinen Aktionen gegen die Post aber wohl auch darum gehen, Chaos zu schüren, um später sagen zu können, die Wahl sei nicht legitim gewesen.

Der Vorwurf des Wahlbetrugs wird in den USA seit Jahren benutzt, um die bürokratischen Hürden für eine Stimmabgabe zu erhöhen und bestimmte Bevölkerungsgruppen am Wählen zu hindern. Welches sind die wichtigsten Hürden, mit denen es amerikanische Wählerinnen und Wähler heute zu tun haben?

Es gibt drei wichtige Angriffsstellen: Das Wahlregister, der Identitätsnachweis der Wähler am Wahltag und die Anzahl und Öffnungszeiten von Wahllokalen. Dazu muss man zunächst wissen, dass es in den USA kein einheitliches Meldeverfahren und auch keinen einheitlichen nationalen Personalausweis gibt. Die Regeln, nach denen die Wahlen durchgeführt werden, unterscheiden sich zwischen den Einzelstaaten stark.

In vielen Bundesstaaten muss man für die Wahl registriert sein. In einigen davon werden Wähler durch Streichung ihrer Namen aus den Wählerlisten an der Stimmabgabe gehindert, zum Beispiel, wenn sie an den letzten beiden Wahlen nicht teilgenommen haben. In Kansas sind außerdem doppelt vorhandene Namen gestrichen worden, ohne zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um zwei verschiedene Menschen mit dem gleichen Namen handelt; Namensdoppelungen kommen aber bei Minderheiten gehäuft vor. 

Welche Probleme gibt es mit dem Identitätsnachweis am Wahltag und den Wahllokalen?

Das Standardausweisdokument ist in den USA der Führerschein. Wenn Leute keinen Führerschein haben, was eher auf Unterprivilegierte zutrifft, stellt sich die Frage, welche alternativen Dokumente akzeptiert werden. Das dreisteste Beispiel, das mir untergekommen ist, war 2014 in Texas: Dort wurden Waffenscheine akzeptiert, Studentenausweise jedoch nicht: Waffenbesitzer wählen eher Republikaner, Studenten eher Demokraten. Da sieht man, dass zum Teil mit »chirurgischer Präzision«, wie es ein Gericht mal formuliert hat, bestimmte Wählergruppen von Wahlen ausgeschlossen werden.

Ein weiteres Instrument, das genutzt wird, um Menschen vom Wählen abzuhalten, sind die Wahllokale. Da ist die Frage: Wie viele gibt es, wie viele Leute arbeiten da bzw. wie lang sind die Schlangen – teilweise müssen die Menschen sechs Stunden anstehen, um zu wählen –,wie viele Tage vor der Wahl kann man bereits wählen, und wie sind die Öffnungszeiten am Wahltag selbst, der immer ein Werktag ist? Weniger privilegierte Menschen können sich am Wahltag oftmals nicht stundenlang von ihrem Arbeitsplatz entfernen und haben es so schwerer, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Kann man da überhaupt noch von gleichen Wahlen sprechen?

Das ist eine berechtigte Frage. Ich würde sagen, nein. Dass es überhaupt möglich ist, dass Politiker Dinge so manipulieren, dass gegnerische Wählergruppen vom Wählen abgehalten werden, widerspricht demokratischen Prinzipien fundamental. Ebenso wie die Tatsache, dass man eine Wahl gewinnen kann, obwohl man weniger Stimmen hat als die Gegenseite, so wie bei der Wahl Trumps oder auch der Wahl George W. Bushs 2000.

Gibt es auch Staaten, die republikanische Wählerinnen und Wähler benachteiligen?

In der beschriebenen Form gibt es das nicht. Die Demokraten verfolgen immer das Prinzip, das Wählen möglichst leicht zu machen, auch wenn sie sich bei der Mobilisierung natürlich auf die eigenen Wähler konzentrieren. Was auch Demokraten für sich nutzen, ist das sogenannten Gerrymandering, bei dem Wahlkreise so zugeschnitten werden, dass die eigene Partei mit den abgegebenen Stimmen möglichst viele Sitze erlangt. Aber auch hiervon haben die Republikaner in den letzten Jahren sehr viel stärker profitiert als die Demokraten.

Wie ernst zu nehmen ist das Problem des Wahlbetrugs, das oft als Begründung für die Errichtung von Hürden herhält?

Das Argument, dass es darum geht, Wahlbetrug zu verhindern, ist wenig glaubhaft. Denn der einzelne Wähler kann mit einer zusätzlich abgegebenen Stimme sehr wenig erreichen. Gleichzeitig stehen hohe Strafen auf Wahlbetrug. Man würde also ein hohes Risiko mit wenig Ertrag eingehen.

Welche Möglichkeiten gibt es, der Diskriminierung beizukommen?

Der Oberste Gerichtshof hat 2013 eine Regelung im Voting Rights Act gekippt, nach der neue Wahlgesetze systematisch auf ihre diskriminierende Wirkung überprüft wurden – und prompt hat es eine Welle neuer diskriminierender Wahlgesetze gegeben. Es gibt aber Staaten, in denen nicht der Gesetzgeber die Wahlgesetze macht, sondern technokratisch und überparteilich besetzte Wahlkommissionen, und das wird tendenziell mehr. Es ist tatsächlich fairer, denn so verhindert man, dass die politischen Parteien das Wahlsystem zum eigenen Vorteil gestalten – etwas, das in den letzten zehn Jahren eine große Rolle gespielt hat. Die Einrichtung dieser objektiven Kommissionen wird auch von einigen Republikanern unterstützt. Auch die Mehrheitsverhältnisse in den Regierungen der Bundesstaaten können etwas verändern, wenn zum Beispiel Republikaner Wahlgesetze nicht mehr alleine verabschieden können. Seit den Zwischenwahlen 2018 gibt es weniger Staaten als zuvor, die rein republikanisch regiert werden.

Inwieweit verstärkt die Corona-Pandemie Ungerechtigkeiten im Wahlsystem?

Wenn man es schafft, eine Briefwahl einigermaßen flächendeckend einzuführen und sauber durchzuführen, dann hat man das Problem im Griff. Sonst gilt allerdings: Die Menschen, die von der Corona-Krise am stärksten betroffen sind, sind im Prinzip die gleichen wie die, die vom Wählen abgehalten werden. Auch unter den Corona-Toten sind Arme und Minderheiten überrepräsentiert. Diese Gruppen sind also ganz besonders darauf angewiesen, dass ihnen eine Möglichkeit des Wählens angeboten wird, die das Corona-Risiko nicht weiter erhöht. Geschieht das nicht, geraten sie noch weiter ins Hintertreffen.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion der SWP.

Dieser Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.

Between Neighbours: How Does Russia View the Election Aftermath in Belarus?

Thu, 13/08/2020 - 00:00

In Moscow all eyes are on Belarus. Russia and Belarus are intimately connected, so political actors in Russia feel an immediate connection with developments there.

In formal terms the two countries form a “union state” and an economic and defence community. Belarus is Moscow’s closest ally and a linchpin for Russian neighbourhood policy. For two decades Russia has funded and subsidised Belarus’s state and economy. This has become a high price for a complicated relationship, as President Alexander Lukashenka consistently – and successfully – spurns Russian attempts to deepen integration. Heading a joint state in Moscow had been raised as an option for keeping Vladimir Putin in power after 2024. Lukashenka was less than enthusiastic and turned, as always in moments of tension with Moscow, to the European Union. That variant is off the table, now that the amended Russian constitution permits Putin two more terms in the Kremlin.

A lack of distance

Despite growing political differences, Moscow continues to support Lukashenka through his latest domestic political travails. Official figures put his share of the presidential vote at 80 percent. The candidate of the united opposition, Sviatlana Tsikhanouskaya, had just 10 percent according to the Central Election Commission. Opposition exit polls paint a very different picture, with some showing the proportions exactly inverted. Since the announcement of the results the country has seen ongoing mass demonstrations, to which the security forces have responded with brutality. Nevertheless, President Putin congratulated Lukashenka on his “victory” as expected on Monday morning.

The Russian political discourse pays very close attention to developments in Belarus, reflecting a persistent post-imperial lack of distance to its sovereign neighbours. Looking at the Russian discussion one might forget that there actually is a border between Russia and Belarus, much as was the case following the Ukrainian presidential election in 2019. Another reason for this closeness lies in the similarity of the political systems. Both are ageing autocracies that are out of touch with the society they rule and suffer rapidly evaporating legitimacy. The economic crisis triggered by the COVID-19 pandemic is tangibly accelerating these processes in both states.

The Russian state media tend to play down the significance of the events and push a geopolitical interpretation in which the protesters are a minority controlled by hostile Western actors. They would not exist without Western support, it is asserted. The objective of Western policy is said to be reducing Russian influence in the region and ultimately “regime change” in Moscow. In other words, the issue is not liberty but geopolitical rivalry. In this understanding the trouble in Minsk is just the latest in a long series of Western plots against Russia – following the 2014 Euromaidan in Ukraine and the “colour revolutions” of the early 2000s. The needs of Belarusian society are completely ignored.

Russia’s independent media, on the other hand, seek to present a realistic picture, concentrating on developments within Belarus and Lukashenka’s loss of public legitimacy. Belarus is also treated as a template for Russia’s own political future. Comparisons are frequently drawn with the ongoing protests in Khabarovsk, with speculation whether Minsk 2020 might be Moscow 2024.

Russian intervention?

Foreign policy analysts in Moscow do not believe that Tsikhanouskaya can expect Western support: The European Union is divided, they note, weakened by COVID-19 and preoccupied with internal matters, while the United States is generally incapable of coherent foreign policy action. The regime will weather the storm, they believe, but emerge from it weakened. This in turn will increase Lukashenka’s dependency on Moscow. Regime-loyal and more critical foreign policy experts alike concur that Russia will ultimately profit from the situation in Minsk without itself having to intervene politically or militarily.

The coming days will tell whether that assumption is correct. The regime in Minsk may have lost touch with the realities of Belarusian society, but it has good prospects of survival as long as the state apparatus backs Lukashenka and Russia maintains its support. But if the unrest grows to paralyse the country a Russian intervention cannot be excluded. The costs would be enormous, in view of the pandemic and the economic crisis. And an intervention could also harm the Kremlin domestically, where it has its own legitimacy problems. On the other hand, it would not be the first time Moscow chose geopolitics and great power bravado over economic and political reason. And Russia’s rulers are still happy to ride roughshod over society, both at home and in Belarus.

The EU cannot overlook the massive election fraud and the brutality of the security forces against unarmed demonstrators. It should back the demand for new elections, offer mediation and impose additional sanctions if the regime refuses to alter its current stance. But in the process it should do everything it can to preserve contacts within Belarusian society. Clear communication with Moscow is vital, both to float possible solutions and to lay out the costs of intervention. No need to fear a quarrel: the EU has been in a conflict with Russia for a long time already.

This text was also published at fairobserver.com.

Unter Nachbarn: Der russische Blick auf die Nachwahlproteste in Belarus

Wed, 12/08/2020 - 00:00

In Moskau blickt man in diesen Tagen gebannt auf Belarus. Für alle Seiten stehen die Entwicklungen dort in unmittelbarem Zusammenhang mit der politischen Situation im eigenen Land. Denn die russische und die belarussische Politik sind aufs engste miteinander verquickt.

Formal bilden die beiden Länder einen Unionsstaat sowie eine Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaft. Belarus gilt als engster Verbündeter Moskaus und als wichtige Stütze der Politik Russlands in seiner Nachbarschaft. Faktisch subventioniert und finanziert Russland seit über zwei Jahrzehnten Belarus‘ Wirtschaft und Staat. Das ist mittlerweile ein hoher Preis für eine komplizierte Beziehung: Lukaschenka widersetzte sich immer wieder erfolgreich russischen Versuchen, die Integration mit Belarus zu vertiefen. In den vergangenen Jahren wurde die Führung eines gemeinsamen Staates in Moskau als Option gehandelt, Wladimir Putin auch nach den russischen Präsidentschaftswahlen 2024 die Macht zu sichern. Lukaschenka zeigte sich unwillig und suchte, wie immer in Momenten der Spannung mit Moskau, die Annäherung an die EU. Die Reform der russischen Verfassung, die Putin zwei weitere Amtszeiten einräumt, ließ diese Variante wieder in den Hintergrund rücken.

Russischer Mangel an Distanz

Trotz der wachsenden politischen Distanz entzieht Moskau Lukaschenka auch angesichts der jüngsten innenpolitischen Turbulenzen in Belarus nicht die Unterstützung. Laut offiziellen Hochrechnungen erhielt der Amtsinhaber am vergangenen Sonntag 80 Prozent der Stimmen. Swjatlana Zichanouskaja, Kandidatin der vereinigten Opposition, sprach die Zentrale Wahlkommission zehn Prozent zu. Oppositionelle Nachwahlbefragungen sprechen eine andere Sprache: einige ergaben genau umgekehrte Stimmenverhältnisse. Seit der Veröffentlichung der Wahlergebnisse wird das Land von Massendemonstrationen und dem gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte erschüttert. Präsident Putin gratulierte Lukaschenka erwartungsgemäß dennoch am Montagvormittag zur angeblich gewonnenen Wahl.

Dass im russischen politischen Diskurs so intensiv an den Entwicklungen in Belarus Anteil genommen wird, zeigt den nach wie vor herrschenden post-imperialen Mangel an Distanz zu den souveränen Nachbarstaaten. Die russische Debatte vermittelt häufig den Eindruck, als gäbe es keine Grenze zwischen Russland und Belarus, ganz ähnlich wie nach den ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2019. Die Anteilnahme liegt auch in der Artverwandtschaft der politischen Systeme begründet. In beiden Fällen handelt es sich um alternde Autokratien, die immer weniger Kontakt mit den von ihnen beherrschten Gesellschaften haben und deren Legitimationsressourcen rapide schwinden. Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise beschleunigt diese Prozesse in beiden Staaten spürbar.

Die russischen Staatsmedien versuchen, die Bedeutung der Ereignisse herunterzuspielen und verbreiten eine rein geopolitische Interpretation: Die Protestierenden sind demnach eine von feindlichen westlichen Akteuren gesteuerte Minderheit. Ohne die westliche Unterstützung gäbe es sie nicht. Diese westliche Politik ziele darauf, russischen Einfluss in der Region zurückzudrängen und, in letzter Konsequenz, einen Regimewechsel in Russland herbeizuführen. Es gehe also nicht um Freiheit, sondern um geopolitische Rivalität. Damit wird das Geschehen in Minsk nach dem Euromaidan in der Ukraine 2014 und den Farbrevolutionen der frühen 2000er zu einem weiteren Element einer langen Kette westlicher Verschwörungen gegen Russland. Die belarussische Gesellschaft gerät dabei völlig aus dem Blick.

Die unabhängigen Medien hingegen konzentrieren sich auf das innenpolitische Geschehen und auf den Legimitationsverlust des belarussischen Machthabers in der Gesellschaft. Man bemüht sich darum, ein realistisches Bild der Situation zu zeichnen. Belarus wird außerdem als eine Art Labor für die politische Zukunft Russlands betrachtet. So wird dieser Tage häufig der Vergleich mit den andauernden Protesten im russischen Chabarowsk gezogen und die Frage gestellt, ob Minsk 2020 Moskau 2024 sei.

Wird Moskau eingreifen?

Außenpolitikexperten in Moskau gehen davon aus, dass Zichanouskaja nicht auf westliche Unterstützung zählen kann: Die EU sei gespalten, durch Corona geschwächt und auf sich selbst zurückgeworfen, die USA sowieso unfähig zu gezieltem außenpolitischem Handeln. Das Regime werde deshalb den Sturm überstehen, aber schwächer aus ihm hervorgehen – was wiederum die Abhängigkeit Lukaschenkas von Moskau verstärken werde. Viele staatsnahe und regimekritischere Außenpolitikexperten treffen sich in der Überzeugung, dass Russland am Ende von den Entwicklungen in Minsk profitieren werde, ohne selbst politische oder militärische Maßnahmen ergreifen zu müssen.

Ob diese Annahme richtig ist, werden die kommenden Tage zeigen. Zwar entspricht das belarussische Regime nicht mehr den Lebensrealitäten der belarussischen Gesellschaft. Es hat jedoch so lange gute Überlebenschancen, wie der Staatsapparat zu Lukaschenka steht und Russland seine Unterstützung aufrechterhält. Sollten sich die Unruhen ausweiten und das Land tatsächlich lahmlegen, kann ein Eingreifen Moskaus nicht ausgeschlossen werden. Die Kosten wären angesichts von Pandemie und Wirtschaftskrise enorm. Darüber hinaus könnte eine Intervention dem Kreml angesichts eigener Legitimationsprobleme auch innenpolitisch schaden. Moskau würde andererseits nicht zum ersten Mal Geopolitik und Großmachtprestige über wirtschaftliche und politische Rationalität stellen. Und nach wie vor fehlt den Herrschenden der Blick für die Gesellschaft – im eigenen Land wie in Belarus.

Die EU kann an den massiven Wahlfälschungen und dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen unbewaffnete Demonstrierende nicht vorbeisehen. Sie sollte die Forderung nach Neuwahlen unterstützen, Vermittlungsangebote machen und zu weiteren Sanktionen greifen, wenn das Regime bei seiner jetzigen Haltung bleibt – dabei aber alles tun, um den Kontakt zur belarussischen Gesellschaft nicht zu verlieren. Mit Moskau sollte klar kommuniziert werden, über mögliche Lösungen ebenso wie über die Kosten einer Intervention. Die Furcht vor der Auseinandersetzung ist gegenstandslos: Die EU befindet sich längst in einem Konflikt mit Russland.

Militärische Cyber-Operationen

Mon, 10/08/2020 - 00:05

Offensive Militärische Cyber-Operationen (OMCO) sind – anders als in populären Darstellungen oft behauptet – keine Allzweckwaffe. Sie unter­liegen zahlreichen strategischen, operativen und taktischen Begrenzungen, die sie für bestimmte Einsatzszenarien ungeeignet erscheinen lassen.

Deutschland sollte auch in Zukunft daran festhalten, keine strategischen OMCO zu planen und zu entwickeln. Der strategische Einsatz von OMCO ist operativ zu aufwendig, extrem risikobehaftet und zudem der globalen Sicherheit des Cyber- und Informationsraums unzuträglich.

Sehr limitierte und überschaubare Cyber-Operationen zur sequenziellen Begleitung von Kampfeinsätzen können bei hochtechnisierten Gegnern sinnvoll sein. Der größte Nutzen von OMCO liegt in ihrer Spionage­funktion und weniger in disruptiven, zerstörerischen militärischen Effekten.

Für das typische Einsatzprofil der Bundeswehr, nämlich Konfliktmanage­ment in wenig digitalisierten Regionen mit schwacher Staatlichkeit, dürf­ten militärische Cyber-Operationen nur in wenigen Fällen einen militärischen Nutzen haben.

Um effektiv zu sein, müssen OMCO auf Ziele exakt zugeschnitten sein. Bei einem OMCO-Einsatz zur Landesverteidigung müssen daher schon im Vorfeld und noch zu Friedenszeiten Zielinformationen beim potentiellen Gegner erhoben worden sein – mittels offensiver Cyber-Spionage in fremden Netzen. Diese Präemptionslogik erzeugt aber ein Sicherheits­dilemma bei potentiellen Gegnern und kann destabilisierend wirken.

Venezuelas Polykrise

Fri, 07/08/2020 - 00:00

Trotz der Auswirkungen der Corona-Krise und der anhaltend hohen Migrations­dynamik zeichnet sich in Venezuela kein Ende der politischen Konfrontation ab. Das politisch-militärische Regime unter der Führung von Präsident Nicolás Maduro erweist sich als sehr resilient. Um sich finanziell am Leben zu halten, stützt es sich immer mehr auf illegale und kriminelle Öl- und Goldgeschäfte. Die internationale Sanktionspolitik hat bislang nicht die erwünschten Brüche im Machtapparat herbei­geführt, auf die viele internationale Akteure und Oppositionsmitglieder gesetzt hatten. Mit Blick auf die für den 6. Dezember 2020 vorgesehenen Parlamentswahlen hat das politische Ränkespiel Maduros erneut begonnen. Mithilfe legalistischer Tricks versucht das Regime die politische Opposition zu schwächen, indem ihre gewählten Repräsentanten abgesetzt und dadurch ihre Wahlchancen reduziert werden. Das politische Spektakel drängt die humanitäre Krise des Landes und den Kollaps des Gesundheitssystems in den Hintergrund – obwohl hierauf die Hauptaufmerksamkeit der inter­nationalen Gemeinschaft liegen sollte.

The EU’s CO2 Border Adjustment: Climate or Fiscal Policy?

Wed, 05/08/2020 - 00:00

The heads of state and government of the European Union propose introducing a “carbon border adjustment mechanism” from 2023, to charge imported goods according to the CO2 emitted during their production. At their recent summit, they decided to use the ensuing revenues to boost the EU’s budget. This gives a fiscal twist to an instrument actually designed for climate policy.

Commission President Ursula von der Leyen had already announced in 2019 that she would like to introduce a “carbon border tax” as part of her European Green Deal. In spring 2020, the Commission launched a roadmap process to prepare concrete legislative proposals by 2021. The Commission’s proposal also responds to fears that higher European CO2 costs caused by EU emissions trading (EU ETS) could cause companies to relocate activities outside the EU, causing carbon leakage. Outsourcing would contribute to reducing European emissions – but not to tackling the global problem. To date, the Union has addressed the risk of relocation by allocating free emission allowances to sectors at risk of carbon leakage. A CO2 border adjustment could create an alternative with a global impact.

There is rising support for the idea, after years of resistance from many member states and business associations. And the pressure is set to grow, with an increase in the EU’s climate target for 2030 – and anticipated higher CO2 costs for EU businesses – expected this autumn. Furthermore, a CO2 border adjustment for foreign products will be widely interpreted as a clear message, especially to Washington and Beijing, that the EU intends to implement the Paris Agreement. When designing the instrument, it will be important to comply with WTO rules and to get important trading partners on board. 

WTO-compatible design

The Commission proposes three ways in which a “carbon border adjustment mechanism” could be implemented: “a carbon tax on selected products, a new carbon customs duty or the extension of the EU ETS to imports”. From a trade law perspective, any of these options could be designed in accordance with WTO rules. The crucial aspect is the principle of non-discrimination: that a CO2 border adjustment must not differentiate among like products or between WTO members. If it were necessary to depart from the principle, for example where a trading partner or individual company is able to demonstrate that it is already taking care of emissions reductions, the rules for exceptions would need to be observed.

An EU-wide CO2 “product tax” and its implementation by the EU member states would be the most straightforward approach from a trade law perspective. To do this, the EU would first have to levy a CO2 tax on goods manufactured in the European Union; then it would be unproblematic to apply this tax to imports as well – the value added tax for example follows this approach. Imported “like” products would be treated the same way as domestic products, which is WTO-compliant. Extending the EU ETS to industrial imports would be more complex. The task for the Commission would be to demonstrate that under trade law the CO2 allowance price is ultimately equivalent to a “product tax”. Failing that, the Commission could argue that it was acting to protect a global resource, i.e. that avoiding carbon leakage was the central aim of the EU legislation. The “conservation of exhaustible natural resources”, which includes the earth’s atmosphere, is a valid ground for violating WTO principles, subject to certain conditions. Such an exemption would also have to be claimed for a new CO2 customs duty.

However, the European Council decision has exacerbated the risk that WTO dispute settlement panels will regard the new instrument as a means of generating income, rather than a means to protect the climate. This would make a difference if trading partners challenged the new tool. The climate focus, which would be taken into account in WTO rulings, is currently slipping into the background.

Don’t underestimate the diplomatic effort

A CO2 border adjustment mechanism will need extensive explanation given the many open details, and it can only promote international climate policy cooperation if trade partners are informed at an early stage and regularly consulted. For this, the EU should use WTO forums and the climate regime as well as other international organizations. In 2012, the European Commission was made painfully aware of the difficulties involved in going it alone, after seeking to include international aviation in the EU ETS. Major partners put political pressure on the EU, even threatening sanctions, and the EU decided to backtrack and reduce the coverage of the ETS to flights within the European Economic Area.

Trust can only arise if the EU adheres to multilateral climate and trade agreements, i.e. supports the Paris Agreement and the troubled WTO, and expresses this clearly and often. This task has probably become much more difficult after the European Council decision, because a fiscally motivated border adjustment cannot be convincingly attributed to these multilateral concerns – especially as the revenues would flow to the EU rather than to funds supporting climate protection, for example in poorer countries. If a CO2 border adjustment specifically targeted cement, steel and other energy-intensive industries, as has already been discussed, producers from emerging and industrialized countries would be especially affected. The Union should start discussions with these countries without delay. A good opportunity will arise at the meeting of G20 finance ministers in Saudi Arabia towards the end of the year. In addition, the EU should insist towards Washington that this initiative is not intended as a provocation in the smoldering customs dispute. Ultimately, the climate policy success of a CO2 border adjustment will depend on how the world’s major economies react to it.

This text was also published at fairobserver.com.

Russia’s “Passportisation” of the Donbas

Mon, 03/08/2020 - 00:00

Russia has so far issued almost 200,000 Russian passports to Ukrainians from the “People’s Republics” of Donetsk and Luhansk. This undermines the Minsk peace process. The passportisation of the Donbas is part of a tried and tested set of foreign policy instruments. Russia is deliberately making it more difficult to resolve territorial conflicts in the post-Soviet space by creating controlled instability. This demonstrative intervention in state sovereignty exerts pressure on the Ukrainian central government in Kyiv. Domestically, Russia’s goal is to counteract its own natural popu­lation decline through immigration. Because of the war in eastern Ukraine, more and more Ukrainians have migrated to Russia; this was one of the reasons behind Russia revising its migration strategy in 2018. The liberalisation of citizenship legislation was aimed particularly at Ukraine. By delaying any resolution to the conflict, Russia achieves two objectives simultaneously: it retains permanent influence on Ukraine via the Donbas, and it becomes more attractive to many Ukrainians as a destination for emigration.

Die CO2-Grenzabgabe der EU – Klima- oder Fiskalpolitik?

Mon, 03/08/2020 - 00:00

Wenn es nach den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) geht, wird es ab 2023 eine »CO2-Grenzsteuer« auf Importe in die Union geben; eine solche Abgabe würde sich nach dem CO2-Wert richten, der bei der Produktion der eingeführten Güter anfällt. Beim jüngsten Gipfel haben sie entschieden, damit den EU-Haushalt aufzubessern. Ein eigentlich klimapolitisch gedachtes Instrument bekommt so eine fiskalpolitische Stoßrichtung.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits 2019 angekündigt, im Rahmen ihres europäischen Green Deal eine »Carbon Border Tax« einführen zu wollen. Im Frühjahr 2020 startete die Kommission einen Roadmap-Prozess mit dem Ziel, bis 2021 konkrete Gesetzesvorlagen auszuarbeiten. Mit diesem Vorschlag reagierte die Kommission auch auf die Befürchtung, dass die durch den EU-Emissionshandel (EU ETS) vergleichsweise erhöhten europäischen CO2-Kosten Unternehmen zum Abwandern bewegen könnten, so dass es zur Emissionsverlagerung (»Carbon Leakage«) kommt. Das europäische Ziel, Emissionen zu senken, greift so zwar in der EU, aber nicht global. Die Union begegnet dem Risiko der Abwanderung bisher, indem sie gefährdeten Sektoren kostenlos Emissionsrechte zuteilt. Eine CO2-Grenzabgabe könnte eine Alternative sein, die auch globale Wirkung entfaltet.

Nach langjährigem Widerstand vieler Staaten und Unternehmensverbände gegen das Instrument hatte es in jüngerer Zeit zunehmend Unterstützung erfahren. Dazu trägt das EU-Klimaziel für 2030 bei, das im Herbst erhöht werden soll und weitere CO2-Kosten für die EU-Wirtschaft nach sich ziehen wird. Zudem sehen viele die CO2-Abgabe auf ausländische Produkte – nicht nur wegen der erwarteten Wirksamkeit gegen Carbon Leakage – als deutliches Zeichen für die Umsetzung des Pariser Abkommens, allen voran gegenüber den USA und China. Bei der Ausgestaltung des Instrumentes kommt es nun darauf an, WTO-Regeln gerecht zu werden und wichtige Handelspartner zur Kooperation zu bewegen.

Ausgestaltung entlang der WTO-Regeln

Die Kommission schlägt drei Möglichkeiten vor, wie ein CO2-Grenzausgleichssystem umgesetzt werden könnte: mit einer CO2-Steuer, einem Zoll oder mit einer Zertifikatepflicht für ausländische Unternehmen. Aus handelsrechtlicher Sicht könnten alle Optionen im Einklang mit WTO-Regeln ausgestaltet werden. Diese geben das Prinzip der Nichtdiskriminierung vor, daher darf eine Grenzabgabe weder zwischen gleichartigen Produkten noch zwischen WTO-Mitgliedstaaten unterscheiden. Sollte es notwendig sein, dagegen zu verstoßen, zum Beispiel weil EU-Handelspartner oder einzelne Unternehmen nachweislich selbst für weniger Emissionen sorgen, wären die Vorgaben für Ausnahmefälle einzuhalten.

Eine EU-weite CO2-»Produktsteuer« bzw. deren Einführung durch die EU-Mitgliedstaaten wäre der aus handelsrechtlicher Sicht beste Weg. Dazu müsste die EU zunächst einmal eine CO2-Steuer auf in der Europäischen Union hergestellte Güter erheben, sodann wäre es unproblematisch, diese Steuer auch auf Importe anzuwenden – die Mehrwertsteuer ist ein vergleichbares Beispiel. Gleichartige Importwaren würden damit WTO-konform genauso behandelt wie die inländisch erzeugten Produkte. Eine Anwendung des Emissionshandels auf Industrieimporte wäre komplexer. Hier käme der Kommission die Aufgabe zu darzulegen, dass der CO2-Zertifikatepreis letztlich einer »Produktsteuer« handelsrechtlich gleichzusetzen ist. Gelingt dies nicht, könnte die Kommission geltend machen, dass sie den Schutz einer globalen Ressource bezweckt, also die Vermeidung von Carbon Leakage das zentrale Ziel der EU-Gesetzgebung ist. Denn der »Schutz einer globalen Ressource«, wozu die Erdatmosphäre zählt, ist als Begründung für Verstöße gegen WTO-Prinzipien erlaubt, wenn auch unter Auflagen. Eine solche Ausnahmebegründung bräuchte es auch für einen neuen CO2-Zoll.

Die Staats- und Regierungschefs haben mit ihrer Absicht, die CO2-Grenzabgabe als Haushaltsinstrument einzuführen, nun allerdings das Risiko erhöht, dass WTO-Schiedsgerichte im Falle einer Anfechtung durch Handelspartner das neue Instrument nicht klimapolitisch, sondern als Mittel zur Erzielung von Einnahmen auffassen. Der klimapolitische Zweck, auf den in Entscheidungen über Ausnahmen von den WTO-Prinzipien geachtet würde, rückt in den Hintergrund.

Diplomatischen Aufwand nicht unterschätzen

Ein CO2-Grenzausgleichssystem, das aufgrund vieler offener Details bereits jetzt hohen Erklärungsbedarf hat, kann nur dann die internationale klimapolitische Zusammenarbeit fördern, wenn frühzeitig Handelspartner informiert und regelmäßig einbezogen werden. Hierfür sollte die EU Foren der WTO und des Klimaregimes sowie weiterer internationaler Organisationen nutzen. Die Europäische Kommission hat 2012 schmerzlich erfahren, zu welchen Verwerfungen ein Alleingang führen kann. Damals wollte sie das EU ETS auch für den internationalen Flugverkehr einführen. Viele große Staaten setzten die EU massiv mit Sanktionsandrohungen unter Druck, woraufhin die EU zurückruderte und schließlich nur für den Flugverkehr im Europäischen Wirtschaftsraum Zertifikate verlangte.

Vertrauen kann nur entstehen, wenn die EU sich an multilaterale klima- und handelspolitische Absprachen hält, also das Pariser Klimaabkommen und die angeschlagene WTO stützt, und dies immer wieder deutlich zum Ausdruck bringt. Diese Aufgabe ist wohl nach dem Gipfelbeschluss ungleich schwerer geworden. Denn eine Grenzabgabe aus fiskalischen Gründen lässt sich diesen multilateralen Anliegen nicht überzeugend zuordnen. Zumal ja die Einnahmen nicht einer Förderung des Klimaschutzes beispielsweise in ärmeren Ländern zugutekämen, sondern den Kassen der EU. Sollte eine CO2-Abgabe gezielt Güter der Zement-, Stahl- oder anderer energieintensiver Branchen erfassen, wie es bereits diskutiert wird, wären vor allem Erzeuger aus Schwellen- und Industrieländern betroffen. Insbesondere mit diesen Staaten sollte die Union zügig Gespräche aufnehmen. Eine gute Gelegenheit hierzu bietet sich bei den Finanzministerkonsultationen unter der G20 in Saudi-Arabien gegen Ende des Jahres. Zudem sollte die EU im Dialog mit Washington wenigstens den Versuch unternehmen, ihr Vorgehen nicht als neuen Zündstoff im schwelenden Zollstreit erscheinen zu lassen. Letztlich wird der klimapolitische Erfolg einer CO2-Grenzabgabe davon abhängen, wie diese Länder darauf reagieren.

Improving Europe’s China Competence

Thu, 30/07/2020 - 00:00

Dealing with China is not only about finding answers to urgent problems in politics, business, or technology. Rather, a system of European China competence must be established that ensures long-term capacity for action. It is crucial to locate this task at the nexus of foreign and education policy. The development of China competence through education should therefore be part of Europe’s China strategy.

Nach dem EU-Gipfel: Historische Integrationsschritte unter Zeitdruck

Thu, 23/07/2020 - 00:05

Die Europäische Union hat Handlungsfähigkeit bewiesen – nach episch langen, harten und zum Teil quälenden Verhandlungen haben die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten am 21. Juli 2020 einen Kompromiss gefunden. Mit seiner Verständigung auf einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die nächsten sieben Jahre und einen auf vier Jahre befristeten europäischen Konjunkturhaushalt unter der Überschrift »Next Generation EU« (NGEU) hat der Europäische Rat ein immenses Finanzpaket mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Billionen Euro geschnürt.

Diese Einigung beinhaltet einige fundamentale Neuerungen: die Möglichkeit der EU, zur Finanzierung des Konjunkturhaushalts nun selbst Kredite in bisher nicht gekanntem Umfang an den Finanzmärkten aufzunehmen, und die Einführung neuer Finanzierungsquellen für den EU-Haushalt. Weitgehende Maßnahmen also, die vor der Pandemie-Krise undenkbar erschienen und kaum durchsetzbar waren. Ob sie aber als großer Schritte hin zu einer vertieften Integration zu werten sind, wird sich erst noch erweisen müssen. Denn der erzielte Kompromiss ist nur ein Auftakt, dem bis Ende des Jahres eine Reihe weitere Schritte folgen muss, damit er zu einem wirklichen europäischen Erfolg werden kann.

Zunächst muss der politische Konsens des Europäischen Rates in konkrete Gesetzestexte gegossen werden. Auch hier sind harte Verhandlungen zwischen den beiden europäischen Gesetzgebern, dem Ministerrat der Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament, zu erwarten. Dann müssen alle nationalen Parlamente den weitreichenden Neuerungen bei der Finanzierung des europäischen Budgets zustimmen. Schließlich müssen die neuen Regelungen in angewandte Politik umgesetzt und mit Leben gefüllt werden. Dies ist eine gewaltige Aufgabe für den deutschen Vorsitz im Ministerrat, denn alle Elemente des Pakets sollen bis zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Zudem ist jeder Schritt mit einem hohen Risiko des Scheiterns oder der Blockade verbunden.

Nationale Parlamente müssen die Integrationsschritte legitimieren

Die Zustimmung der nationalen Parlamente zu der erstmaligen Verschuldung der EU in Höhe von 750 Mrd. Euro und den neuen Finanzierungsquellen ist nicht nur ein zeitliches Problem, sondern auch ein politisches, denn die Größe des Schritts zu einer enger zusammenwachsenden Union ist unübersehbar; seine Legitimation erfordert breite parlamentarische Debatten. Doch für eine sorgfältige Abwägung der Integrationsschritte und ihrer Folgen bleibt unter dem Druck der Covid-19-Krise und der unbedingt erforderlichen schnellen europäischen Reaktion kaum ausreichend Zeit.

Nicht leichter dürfte es werden, die gefundenen Kompromisse des Gipfels in konkrete Programme umzusetzen. So müssen die Mitgliedstaaten sogenannte Aufbau- und Resilienzpläne mit ihren Reform- und Investitionsvorhaben erarbeiten, um europäische Fördermittel aus dem neuen Aufbaufonds abrufen zu können. Diese Pläne müssen sie der Europäischen Kommission zur Prüfung und Billigung vorlegen. Dabei sollen sie die sogenannten länderspezifischen wirtschaftspolitischen Reformempfehlungen sowie die Klimaschutz- und die Digitalisierungsziele der EU beachten. Sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Europäische Kommission müssen also sehr schnell konkrete Ideen entwickeln, wofür das Geld sinnvoll verwendet werden soll. Denn die Fördergelder sollen erst fließen, wenn die Mitgliedstaaten die zugesagten Reformanstrengungen wirklich aufgenommen und die vereinbarten Etappenziele tatsächlich erreicht haben. Dies macht die genaue Prüfung und ein kontinuierliches Monitoring der nationalen Umsetzung erforderlich. Dass es den Mitgliedstaaten ernst damit ist, dass das Geld nur im Gegenzug für nachhaltige Strukturreformen und Investitionen fließt, haben die sehr harten Debatten im Europäischen Rat gezeigt.

Zeitdruck gefährdet Zielgenauigkeit der Förderung

Es ist eine kaum zu lösende Aufgabe, die nationalen Pläne in der Kürze der Zeit zu erstellen und zu bewerten sowie neue Formen des Monitorings aufzubauen. Wissenschaftliche Gutachten oder die Begleitung weitreichender nationaler Strukturreformen durch Kommissionen, wie sie zum Beispiel in Deutschland zum Braunkohleausstieg erfolgte, sind in wenigen Monaten kaum vorstellbar. Trotz des hohen Drucks, schnell und wirkungsvoll auf die Folgen der Pandemie zu reagieren, müssen Nachhaltigkeit und Zielgenauigkeit der Maßnahmen mit einer sorgfältigen Bewertung der Programme und der einzelnen Maßnahmen verbunden werden. Nur so kann das in den Verhandlungen des Europäischen Rats sichtbar gewordene Misstrauen zwischen den Mitgliedstaaten überwunden werden.

Ein hohes Tempo bei der Umsetzung der vom Europäischen Rat vorgezeichneten Schritte ist zweifelsohne nötig. Für diese Dynamik bei den Verhandlungen über die konkreten Rechtsgrundlagen kann die deutsche Ratspräsidentschaft sorgen. Um jedoch den Kompromiss des Europäischen Rats zu einem wirklichen und langfristigen Integrationserfolg zu machen, müssen das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten wieder wachsen und die Unionsbürgerinnen und -bürger diesen Integrationsschritten zustimmen. Das sind große Aufgaben, die gegenseitiges Verständnis, Toleranz und auch Zeit erfordern. Ob die Quadratur des Kreises gelingen kann, bleibt abzuwarten. Immerhin hat der EU-Gipfel die Diskussion über die Weiterentwicklung der EU angestoßen.

Arktische Seewege

Thu, 23/07/2020 - 00:00

Das Eis im Nordpolarmeer schmilzt, wodurch die arktischen Seewege zunehmend schiffbar werden. Die Nordostpassage ist schon heute für längere Zeiträume im Sommer befahrbar, während die Nordwestpassage wohl in den 2030er Jahren, die Transpolare Route wiederum frühestens ab den 2040er Jahren für die Schifffahrt häufiger – und damit kommerziell – nutzbar, da »eisfrei« sein wird.

Neben den Klimaveränderungen wirken auch Ressourcennutzung und Großmachtkonkurrenz – jeweils unterschiedlich in Art, Ausmaß und Folgen – als Treiber für einen Wandel in der Arktis.

Die Erwärmung der Arktis ermöglicht es, bislang unzugängliche Lagerstätten von Rohstoffen zu nutzen, und eisfreie Seewege erleichtern deren Transport. Doch geht es dabei um kostenträchtige, riskante und lang­wierige Projekte, zumal bei der Öl- und Gasförderung auf See (offshore).

Die USA haben die Arktis als geopolitische »Arena« im Kampf um Macht und Einfluss identifiziert. Russland will über die Nördliche See­route maßgeblich seine Rolle als Energiegroßmacht bewahren.

Als neuer Akteur kann China in der Arktis an sein Seidenstraßen-Projekt anknüpfen, Transportwege diversifizieren und die eigene Versorgungs­sicherheit erhöhen. Im Konfliktfall lassen sich Versorgungsrouten militärisch nutzen, weshalb das Nordpolarmeer auch für Peking strategisch zunehmend wichtig ist.

Neben den negativen Auswirkungen des Klimawandels ist eine Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage im Norden festzustellen. Die widerstreitenden Ambitionen Chinas, Russlands und der USA machen einen Dialog über militärische Sicherheitsfragen nötig.

The Indian-Chinese Confrontation in the Himalayas

Tue, 21/07/2020 - 00:00

The confrontation between Indian and Chinese troops in the Himalayas, which has been ongoing since the beginning of May, has escalated into the most serious crisis in relations between the two countries in 45 years. On 15 June, for the first time since 1975, 20 Indian and an unknown number of Chinese soldiers were killed in an inci­dent. The current crisis, unlike previous ones, has wider territorial and political dimensions. It shakes the previous border regime and strains the relationship of trust that was laboriously built up between Prime Minister Narendra Modi and President Xi Jinping. The confrontation is also a test of India’s strategic autonomy. This corner­stone of Indian foreign policy also includes the claim to an independent role in the geostrategic tensions between China and the United States in the Indo-Pacific.

Reconstruction in Syria

Mon, 20/07/2020 - 00:00

Syria’s civil war has long since been decided in favour of the regime. There is no prospect of a negotiated settlement, reconciliation or lasting stabilisation.

Syria faces enormous challenges, well beyond the rebuilding of infra­structure and housing. It will also need assistance to restart its economy, stabilise its currency and renew its public services, in particular education, health, electricity and water.

The funds required for comprehensive reconstruction are extremely un­likely to become available, given the attitude of the Syrian leadership, the economic ramifications of the Covid-19 pandemic, and the geopolitical interests of regional and global powers. Nor are resources likely to be deployed in line with the needs of the population.

The EU and its member states have made engagement in Syria’s reconstruc­tion conditional on viable steps towards a negotiated conflict settle­ment and a political opening. They should adapt their approach to align better with the current realities and challenges on the ground.

That means in particular targeting humanitarian aid more effectively, dismantling certain sectoral sanctions and supporting the rehabilitation of basic infrastructure – even in areas controlled by the Syrian government. This would represent a more effective contribution to improving living conditions and avoiding further erosion of public services.

Lasting stabilisation will require fundamental reforms. In this vein, Brus­sels should spell out its “more for more” approach.

Europe should refrain from normalising relations with the top leaders of the Assad regime and instead step up its support for prosecution of war crimes, grave human rights violations and the use of internationally banned weapons.

 

 

»Auch Joe Biden müsste mit einem hochgradig polarisierten US-Kongress umgehen«

Mon, 20/07/2020 - 00:00

Herr Overhaus, Sie haben die Expertengruppe USA – »Jenseits der Wahlen – Langfristige Trends in der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik« ins Leben gerufen. Warum braucht es diese Expertengruppe?

Marco Overhaus: Die Motivation bestand darin, einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen und politischen Debatte zu leisten, wie wir in Zukunft mit den USA umgehen. Gegenwärtig werden häufig einzelne Personen und hier insbesondere der US-Präsident Donald Trump sowie aktuelle Ereignisse wie die Proteste nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd betrachtet. In der Expertengruppen widmen wir uns den langfristigen und strukturellen Trends dahinter, um Schlüsse für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen zu ziehen.

Wie haben Sie die strukturellen und längerfristigen Trends ermittelt?

Marco Overhaus: Zunächst haben wir in der Expertengruppe im Rahmen eines Brainstormings Entwicklungen gesammelt, die wir als wichtig erachten. Anschließend haben wir anhand der beiden Kriterien Wahrscheinlichkeit und Wirkung entschieden, welche der insgesamt fünfzig Ergebnisse wir weiterverfolgen. Also: Wie wahrscheinlich ist es, dass das, was wir untersuchen wollen, die Innen- und Außenpolitik der USA auch in Zukunft prägen wird? Und wie gravierend könnten sich diese Faktoren und Trends auswirken? Am Ende haben wir sieben Trends bestimmt.

Christian Lammert: Wir haben die Trends nach festen Regeln bewertet, unabhängig von unseren eigenen Forschungsschwerpunkten. Da kam es zu einigen Überraschungen.

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Marco Overhaus: Wir haben zum Beispiel das Thema Klima als besonders wichtig eingestuft, obwohl niemand aus der Gruppe Klimaexperte ist. Um diesen Bedarf zu decken, haben wir dann aber mit Susanne Dröge eine SWP-Expertin für Klimapolitik gewinnen können.

Welche Trends halten Sie darüber hinaus für besonders relevant – sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik der USA?

Marco Overhaus: Wir haben vier Trends definiert, die in den Bereich Innenpolitik fallen. Dazu gehören die Entwicklung der Medienlandschaft, gesellschaftliche und politische Polarisierung, Zunahme gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ungleichheit sowie die strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft hin zu einer Digitalwirtschaft in den USA. Im Bereich der Außenpolitik haben wir uns für die wachsende Rivalität der USA mit China und die Zunahme internationaler Konflikte als Herausforderung für die USA entschieden.

Christian Lammert: Es hat sich schnell gezeigt, dass wir beide Perspektiven immer zusammendenken müssen. Denn die Trennlinie zwischen Außen- und Innenpolitik wird immer poröser. Die Handelspolitik hat Konsequenzen für den Arbeitsmarkt – auch in den USA. Und es ergibt keinen Sinn, Klimapolitik nur innenpolitisch zu betrachten, weil es ein globales Problem ist. Ebenso sind die Veränderungen in der Wirtschaft nicht rein innenpolitisch zu verstehen. Es geht dabei auch um den Einfluss globalisierter Finanzmärkte.

Der gewaltsame Tod von George Floyd hat in den USA eine heftige Debatte über strukturellen Rassismus aufgeworfen. Welche Rolle spielt das in der Arbeit der Expertengruppe? 

Christian Lammert: Wir haben gesehen, dass sich Polizeigewalt, struktureller Rassismus und jetzt die Black-Lives-Matter-Bewegung in vielen Schwerpunkten wiederfinden, vor allem in den innenpolitischen. Der politische Diskurs über die Legitimität des Protestes ist in den USA sehr polarisiert. Aus sozioökonomischer Perspektive sind Afroamerikaner und Hispanics immer noch benachteiligt. Die Unzufriedenheit darüber zeigt dieser Protest nun auch.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf diese Trends aus?

Christian Lammert: Die Corona-Krise führt dazu, dass sich einige Trends verschärfen oder neue Dimensionen sichtbar werden. Das wird am Beispiel Rassismus auf ganz dramatische Weise deutlich. Afroamerikaner sind überproportional von den Folgen der Pandemie betroffen. Das hängt neben dem mangelnden Zugang zum Gesundheitssystem auch mit ihrer schlechteren Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammen. Diese Bevölkerungsgruppe ist deutlich häufiger in Berufen beschäftigt, in denen man sich leichter infizieren kann, darunter Pflege und Einzelhandel.

Marco Overhaus: Die Corona-Krise könnte auf längere Sicht auch zu einer Ressourcenverknappung in der amerikanischen Außenpolitik führen. Prognosen gehen davon aus, dass die USA im Jahr 2021 eine Schuldenlast von weit mehr als 100 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt haben werden.  2019, vor Corona, waren es noch 80 Prozent – auch dies schon ein beachtlicher Wert.

Welche Folgen hat das für die US-Außenpolitik?

Marco Overhaus: Die Kluft zwischen den außenpolitischen Ambitionen, international präsent zu sein und in allen Weltregionen Einfluss zu nehmen, und den innenpolitischen Möglichkeiten, diesen Ambitionen gerecht zu werden, ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Und die Corona-Krise wird das verschärfen. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und die wirtschaftliche Ungleichheit in den USA weiter wächst, kann man davon ausgehen, dass auch die gesellschaftliche Unterstützung für außenpolitische Kosten abnehmen wird. Langfristig wird sich das auch auf die amerikanische Politik in ihren Allianzen, wie der NATO, auswirken.

Wie würden sich die transatlantischen Beziehungen unter einem Präsidenten Joe Biden entwickeln?

Marco Overhaus: Alle Trends, die wir identifiziert haben, würden auch eine Präsidentschaft von Joe Biden beeinflussen. Auch er müsste mit einem hochgradig polarisierten US-Kongress umgehen, der seinen Handlungsspielraum einschränkt. Ein anderes Beispiel ist China. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren hat sich der Anti-China-Konsens in den USA stark verfestigt. Wir können nicht davon ausgehen, dass die USA unter Joe Biden eine Chinapolitik fahren, die deutschen Idealvorstellungen entspricht. Da sollten wir mehr Realismus an den Tag legen und nicht wie bei Obama hochfliegende Hoffnungen in einen neuen Präsidenten setzen.

Christian Lammert: Gerade deshalb ist die Trendanalyse so wichtig: weil sie über die jeweilige US-Administration hinausreicht. Sicherlich wäre es einfacher, mit einem Präsidenten Joe Biden zu reden, aber an den grundsätzlichen Problemen würde ein Wechsel im Weißen Haus nichts ändern.

Das Interview führte Cetin Demirci von der Online-Redaktion der SWP.

Political Implications of the Hagia Sophia Reconversion

Fri, 17/07/2020 - 00:10

On 10 July, Turkish President Tayyip Erdoğan issued a decree reconverting the Hagia Sophia Museum to a mosque, thus realizing a long-cherished dream of conservative currents in Turkish society. Originally built as a cathedral by the Romans, the Hagia Sophia functioned as Istanbul’s main mosque of throughout the Ottoman era. Its conversion into a museum in 1934 was one of a series of moves intended to distance Kemal Atatürk’s new secular republic from the Islamic heritage of the defunct Ottoman Empire – and became a totem of conservative resentment towards the Kemalist regime. Reconversion should therefore be considered a significant symbolic achievement for the conservative side and a settling of scores with the early republican period. Erdoğan is also seeking political gain by treating this issue as an identity battle between conservatives and secularists.

A Tactical Move?

According to a poll conducted in June, a majority of the Turkish population regards the Hagia Sophia controversy as an attempt by the government to divert attention from economic problems and reverse its declining support. Only 30 percent said they felt it was really just about a change of use from museum to mosque. This means that even among supporters of the ruling Justice and Development Party (AKP) and its ultranationalist junior partner, the Nationalist Movement Party (MHP), significant numbers consider the move to be more tactical than ideological – even if they ultimately agree with the outcome.

Erdoğan’s earlier statements also suggest that this is a tactical move. During local election campaigning in 2019, he responded angrily to a crowd that raised the topic of Hagia Sophia, pointing out that the adjacent Sultan Ahmad Mosque (Blue Mosque) is almost always empty during prayer times. He told his audience that he would consider reconverting the Hagia Sophia if they first filled the Sultan Ahmed Mosque. Given that this was consistent with previous remarks and little has changed since the exchange, political expediency now seems to have outweighed religious or ideological considerations. Erdoğan expects reconversion to produce three political benefits.

Erdoğan’s Political Expectations

The first benefit is to energize the more conservative segments of his power base by meeting one of their longstanding symbolic demands, in particular in light of the emergence of two splinter parties from the AKP with potential to appeal to this electorate. The prominence of the controversy suggests he has succeeded in this. The second benefit would be to distract the public from the country’s serious socioeconomic problems. Where the unemployment rate – including those who have given up seeking work – has reached 24.6 percent, the government would like to talk about anything but the economy. Here, Erdoğan has gained relief, but probably not to the extent he hoped.

The third and most important benefit would be to establish yet another identity battle between conservatives and secularists. This is the arena where Erdoğan feels most secure, and the Hagia Sophia issue appeared ideally suited for the AKP’s identity wars. Its symbolism is multi-layered. First of all, a fight over mosque versus museum slots easily into a religion/modernity binary. It can also be used to create an Islam/Christianity binary as Hagia Sophia was originally built as a church and functioned as such for nine centuries until the Ottoman conquest of Istanbul. Secondly, it awakens historical allusions and underlines the real or perceived dichotomy between the Ottoman Empire and the Republic. Reversing a decision taken by Atatürk also inflames existing debates over the early republican reforms. Finally, the move is also expected to provoke adverse international reactions, thus offering a perfect opportunity for Erdoğan to breathe new life into his narrative of Turkey encircled by enemies, with Western powers subverting its sovereignty.

Domestically Erdoğan would expect the reconversion to provoke uproar among secularist circles and lead the secularist People’s Republican Party (CHP) in particular to condemn the decision and mobilize public opposition. This would create another opportunity for him to stir the “culture wars”. In fact, however, the CHP and most of the other opposition parties avoided this ploy and either supported the reconversion or remained neutral. This approach is in line with the new strategy of CHP leader Kemal Kılıçdaroğlu, who has been careful to avoid such traps in recent years. While he has received much criticism from his party base – especially the secularist intelligentsia – for his calculated lack of interest in cultural conflicts, Kılıçdaroğlu seems to have been successful in preventing Erdoğan from picking his fights.

In light of the lack of domestic push-back, Erdoğan will focus on international condemnation to fan the flames of identity conflicts, presenting these reactions as interference in Turkey’s internal affairs – if not outright Islamophobia. Given that certain European countries have their own problems with accommodating Muslim places of worship, European criticisms can easily be framed as hypocritical and anti-Islamic. In that sense, Hagia Sophia is the perfect fight for Erdoğan: it is symbolic, emotionally charged, politically polarizing, and consolidates political camps. And all this is achieved with scant real-life consequences. European policymakers should follow the example set by the opposition parties in Turkey and deny Erdoğan the trivial rhetorical fights he clearly seeks.

This text has also been published at fairobserver.com.

Migration and the 2030 Agenda: Making Everyone Count

Fri, 17/07/2020 - 00:00

With the 2030 Agenda for Sustainable Development and its guiding principle, “Leave no one behind”, the international community has set itself the goal of improving the living conditions of poor and marginalised groups. In many cases, these groups include refugees and migrants. However, they are hardly taken into account in the Sustainable Development Goals (SDGs), which are decisive for the implementation of the 2030 Agenda. As a result, there is a growing danger that existing disadvantages will become more permanent or more pronounced. Five years after the adoption of the SDGs, the balance sheet is sobering: Disaggregated data is necessary to be able to understand and monitor changes in the living conditions of migrant population groups, but these data are still lacking in most countries. In line with its overarching commitment to the implementation of the SDGs, the German government should work to ensure that migrants and refugees are systematically taken into account in the follow-up and review of the 2030 Agenda.

Die EU-Energiediplomatie – Aufwertung und Neuausrichtung für eine neue Ära

Fri, 17/07/2020 - 00:00

Der Green Deal, den die Europäische Kommission 2019 auf den Weg gebracht hat, erfordert eine Neuausrichtung der Energiediplomatie der Europäischen Union (EU). Allerdings sollte die Energiediplomatie nicht auf die Außenkommunikation des Green Deal redu­ziert werden. Vielmehr wird sie sich mit den tief­greifenden und vielfältigen geoökonomischen und geopolitischen Veränderungen auseinander­setzen müssen, die die Energiewende mit sich bringt. Deswegen sollte der Aktionsplan der EU-Energie­diplo­matie von 2015 angepasst werden. Wenn die EU dabei neue Prioritä­ten setzt, wird sie ein realistisches Gleichgewicht zwischen ihren globalen Bestre­bun­gen und ihren begrenzten finanziellen Mitteln finden müssen. Die deutsche EU-Ratspräsi­dent­schaft sollte ihre Bemühungen um eine Aufwertung der EU-Energiediplomatie in drei Richtungen intensivieren. Erstens: die bestehenden Prio­ritäten entsprechend den neuartigen Herausforderungen überprüfen. Zweitens: den geographischen Aktions­radius über die direkte Nachbarschaft hinaus erweitern auf 12 Ankerpartner entlang der afro-euro-asiatischen Ellipse, denen besondere Aufmerk­samkeit zukommen sollte. Drittens: das energie-außenpolitische Instrumentarium passend zu fünf neuen Aktions­bereichen nachjustieren, wobei ein realistischer und auf das jeweilige Land zugeschnittener Ansatz einem normativ-ideologischen vorzuziehen ist.

 

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