Die Ergebnisse der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die EZB hält an ihrem Kurs fest, ihre Geldpolitik graduell zu straffen. Sie hat aber angesichts der enormen wirtschaftlichen Risiken durch den Krieg in der Ukraine und die Pandemie keine andere Wahl, als sich alle Optionen offen zu halten. Denn bei einem Embargo oder Lieferstopp von russischem Gas und Öl dürfte die Wirtschaft des Euroraums und auch Deutschlands in die Rezession rutschen. In diesem Fall könnte die EZB gezwungen sein, eine Kehrtwende zu vollziehen und eine wieder expansivere Geldpolitik zu verfolgen. Wenn die Wirtschaft sich hingegen weiterhin erholt, dann sollte die EZB möglichst bald mit ihrem Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik beginnen.Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Abhängigkeit Deutschlands von Energielieferungen aus Russland erfordern ein Umdenken: Während die Debatte über ein sofortiges Energie-Embargo hochkocht, könnte auch Russland jederzeit seine Lieferungen einstellen. Deutschland bezog bisher rund 55 Prozent seines Erdgases aus Russland. Das DIW Berlin hat Szenarien entwickelt, wie das deutsche Energiesystem im europäischen Kontext schnellstmöglich von diesen Importen unabhängig werden könnte: Auf der Angebotsseite können Lieferungen anderer Erdgasexportländer einen Teil der russischen Exporte kompensieren. Die Versorgungssicherheit würde es erheblich stärken, wenn die Pipeline- und Speicherinfrastruktur effizienter genutzt wird. Auf der Nachfrageseite gibt es ein kurzfristiges Einsparpotenzial von 19 bis 26 Prozent der bisherigen Erdgasnachfrage. Mittelfristig ist insbesondere ein Schub in Richtung erneuerbarer Wärmeversorgung und höherer Energieeffizienz notwendig. Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert.
Der Krieg in der Ukraine hat den seit Mitte des vergangenen Jahres zu beobachtenden Anstieg der Ölpreise verstärkt und schlägt sich für die VerbraucherInnen in Deutschland merklich in zahlreichen Preissteigerungen, wie bei den Kraftstoffpreisen und Heizkosten, nieder. Auch wenn der russische Angriff auf die Ukraine eine ganz neue Erfahrung im Nachkriegseuropa darstellt, sind solche Schocks auf den Ölmärkten vielfach beobachtet worden. Deshalb kann man recht verlässlich auf ein etabliertes Modell zurückgreifen, das die Wirkungen eines Ölpreisschocks auf die Wirtschaftsaktivität und die Verbraucherpreise über einen Zeitraum von gut zwei Jahren quantifiziert. Demnach erhöht der aktuelle Ölpreisschock die Verbraucherpreise in Deutschland um bis zu 1,5 Prozent und über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren – selbst wenn der Ölpreis schon wieder auf sein Vorkriegsniveau gefallen ist. Der Verbraucherpreisanstieg wird auch im gesamten Euroraum anhaltend sein.
3. Februar 2022 – Der aktuelle Beschluss des Kabinetts, die Heizkosten zu bezuschussen, wird nur einen Teil der aktuellen Preisentwicklung auf dem Gasmarkt abfedern können. Der außergewöhnliche Anstieg der Gaspreise stellt vor allem für einkommensschwache Haushalte, die in Wohnungen mit schlechter Wärmedämmung leben, eine finanzielle Herausforderung dar. Die einkommensschwächsten zehn Prozent der Haushalte gaben in den letzten Jahren im Durchschnitt circa sechs Prozent des verfügbaren Einkommens beziehungsweise 52 Euro pro Monat für Heizkosten aus. Das aktuelle Gaspreisniveau lässt eine Verdopplung der Heizkosten für Haushalte mit Gasheizungen erwarten. Innerhalb der Einkommensgruppen sind die Haushalte unterschiedlich stark von den Kostenerhöhungen betroffen. Diese Unterschiede erklären sich unter anderem durch Faktoren wie die Wärmedämmung und die Wohnfläche. Die vorliegende Studie zeigt auf, wie diese Faktoren die Heizkostensteigerungen beeinflussen und wie davon besonders betroffenen Haushalte zielgerichtet unterstützt werden können. Als Datengrundlage dient das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) sowie Daten des DIW Wärmemonitor 2019 (auf Basis der Daten von ista Deutschland). Ein auf Grundlage dieser Analyse entwickelter Politikvorschlag empfiehlt die gezielte finanzielle Entlastung einkommensschwacher Haushalte, etwa durch eine kurzfristige Ausweitung des Wohngeldes, sowie eine langfristige Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden. Die Analyse zeigt darüber hinaus, dass der von der Bundesregierung geplante Heizkostenzuschuss unzureichend ist, um besonders stark betroffene Haushalte ausreichend zu entlasten.
Die Ergebnisse der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die Europäische Zentralbank (EZB) behält einen kühlen Kopf und setzt ihren an Daten und Fakten orientierten Kurs fort. Die heutige Entscheidung bedeutet eine Enttäuschung für all jene, die bereits für 2022 mehrere Zinserhöhungen erwartet hatten. Der Euroraum befindet sich jedoch in einer deutlich anderen Situation als die USA und Großbritannien, wo Zinserhöhungen angebracht und notwendig sind.